in
Lebensgröße! "Ein höchst mysteriöses Postscript (_most mysterious_)",
sagt Mrs. Henry Pott. Wen anderen könnte "der andere Namen"
bedeuten als Shakespeare?
Das Räthsel löst sich, wie mir scheint, weit einfacher. Der Mann,
dessen Werke die Welt kennt und bewundert, heißt nicht Viscount von
St. Alban, sondern Bacon.
IV. BACON ALS DRAMATISCHER GESCHICHTSSCHREIBER.
Zwischen den beiden Tetralogien von "Richard II." bis "Richard III."
auf der einen Seite und "Heinrich VIII." auf der anderen liegt in der
Reihenfolge der Könige die Regierung Heinrichs VII., in der
Reihenfolge der Dramen eine Lücke. Nun meinen die Baconianer, daß
zur Ausfüllung der letzteren Bacons "Geschichte der Regierung
Heinrichs VII." geschrieben und dramatisch stilisirt war.
Diese Ansicht ist von vornherein verfehlt und mit den urkundlichen
Thatsachen in Widerstreit. Als Bacon unmittelbar nach seinem Sturz,
von London verbannt, fern von den historischen Quellen und
Hülfsmitteln, binnen wenigen Monaten das genannte Werk verfaßte,
hatte er nicht die Absicht, eine Lücke zu ergänzen, sondern die
Geschichte Englands von der Vereinigung der Rosen bis zur
Vereinigung der Reiche, d. h. von Heinrich VII. bis Jakob I., zu
schreiben. Er hat dieses Werk, wie viele andere, nicht ausgeführt, aber
noch den Anfang der Geschichte Heinrichs VIII. hinterlassen: Beweises
genug, daß sein Werk nicht eine Lücke zwischen Richard III. und
Heinrich VIII. auszufüllen bestimmt war.
Der Erste, der auf den dramatischen Stil dieses Werkes hingewiesen
und daraus Schlüsse gezogen hat, welche die Bacon-Theorie stützen
sollten, war wohl Villeman mit seinem Schriftchen «_Un problème
littéraire_» (1878) [Fußnote: Wyman scheint die Schrift nicht gekannt
zu haben, da er den Verfasser "Villemain" und den Titel «_Un
procès_» nennt. Nr. 109.], einer der wenigen Franzosen, die etwas zur
Bacon-Theorie beigesteuert haben: ein Mangel oder eine Enthaltung,
die der französischen Litteratur keineswegs zum Vorwurf gereicht.
Wenn Bacon in seinem "Heinrich VII." erzählt, daß die Ursachen der
Bürgerkriege wie schweres, dichtes Gewölk über England hingen, so
vernimmt Villeman die Sprache Richards III.: "Die Wolken all', die
unser Haus bedroht" u.s.f. Wenn es in "Heinrich VII." heißt, daß eine
Person sich entfernt oder die Scene gewechselt habe, daß die
Schicksale der Wittwe Eduards IV. Gegenstand einer Tragödie hätten
sein können, daß Perkin Warbeck (der falsche Richard) die Kunst eines
vollendeten Schauspielers besessen, daß in einem Moment politischer
Spannung sich der Adel Englands versammelt habe, wie die Personen
eines Dramas bei der Lösung des Knotens u.s.f., so ruft Villeman
seinen Lesern zu: "Hört! Er redet von Scene, Tragödie, Rolle,
Schauspieler, dramatischem Knoten" u.s.f. Der Verfasser der
Geschichte Heinrichs VII. sei ein dramatischer Schriftsteller; dieselbe
Feder habe auch "Richard III.", die Historien, mit einem Worte
Shakespeare geschrieben.
Wenn die jüngste Bacon-Theorie sich rühmt, die Entdeckungen des
dramatischen Stils in Bacons "Heinrich VII." zuerst gemacht zu haben,
so ist sie im Irrthum. Ob der theatralischen Bilder und Gleichnisse ein
Dutzend oben einige Dutzende hergezählt werden, thut nichts zur
Sache. Da ihre Beweiskraft gleich Null ist, so kann sie durch die Zahl
der Beispiele nicht vermehrt werden. Bacon hatte das Drama die
Geschichte in sichtbarer Gegenwart (_historia spectabilis_) genannt,
wir nennen die Schaubühne "die Bretter, welche die Welt bedeuten",
daher ist nichts natürlicher, als daß ein Geschichtschreiber seine
Sprache öfter durch Bilder belebt, die an die Bühne erinnern. Daraus
folgt nicht, daß der Historiker ein dramatischer Schriftsteller ist. Auch
die vielen Blankverse, die in Bacons "Heinrich VII." sich mögen
auffinden lassen, beweisen nicht, daß er Shakespeare war.
Zur Niederschlagung solcher Argumente hat es gedient, daß man
sogleich eine Reihe theatralischer Gleichnisse aus Mommsen und eine
Reihe Blankverse aus Macaulay angeführt hat: ein ebenso treffender
wie amüsanter Gegenbeweis. [Fußnote: W. Brandes in Westermanns Ill.
Monatshefte. Okt 1894. S. 130-131.]
Was aber die parallelen Ausdrucksweisen (insbesondere in Bacons
"Heinrich VII." und Shakespeares "Richard III."), diese sogenannten
Parallelismen und deren Beweiskraft betrifft, die bei allen Vertretern
der Bacon-Theorie eine so überaus wichtige Rolle spielt, so werde ich
diese Schlußart gleich in dem folgenden Abschnitt etwas näher
beleuchten.
V. DIE ZWEITE ART DER BACON-MYTHEN.
1. Bacon als der Kaufmann von Venedig.
Zu den verhängnisvollen Charakterschwächen Bacons gehörte der
Hang, über seine Verhältnisse zu leben, mehr Geld auszugeben, als er
hatte, und sich immer von neuem in Schulden zu stürzen. Oft und gern
half ihm sein Bruder Anthony. [Fußnote: Works VIII. S. 322.
(Zahlungen aus den Jahren Sept. 1593 bis Jan. 1595.)] Aber der
Goldschmied Sympson in der Lombardstreet, dem er einen Wechsel
von 300 Pfund schuldete, war ein ungeduldiger Gläubiger und ließ
Bacon eines Tages, als dieser in wichtigen Geschäften aus dem Tower
kam, auf offener Straße verhaften; auch wäre er sicherlich eingesperrt
worden, wenn nicht schleunige Hülfe zur Hand gewesen wäre. Sie kam
diesmal nicht von Bruder Anthony, sondern, wie es scheint, von
amtlicher Seite. [Fußnote: Works IX, p. 106-108. (Die Sache begiebt
sich am 24. Sept. 1598.)]
Hier entdeckt sich nun unsern Baconianern plötzlich die schönste
Uebereinstimmung zwischen diesem widerwärtigen Erlebniß Bacons
im September des Jahres 1598
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