Shakespeare und die Bacon-Mythen | Page 6

Kuno Fischer

Antworten, die, obwohl sie von mir ausging, später in anderer Namen
umlief". [Fußnote: _Apology, pag. 149-150_.] So hat er gesagt. Nun
aber läßt man ihn sagen (indem die Uebersetzung ein Wörtchen einfügt,
welches nicht im Text steht): "Um dieselbe Zeit erinnere ich mich einer
Antwort von mir in einer Sache, die einige Verwandtschaft mit des

Lords Angelegenheit hatte, und die, obgleich sie von mir ausging, dann
in anderer Namen umlief". [Fußnote: E. Bormann, S. 278- 282.]
Demnach wäre, was von Bacon ausging, nicht jene Antwort gewesen,
die er der Königin gab, sondern die Sache, die mit dem Proceß des
Grafen zusammenhing, d. h. die Darstellung der Entthronung Richards
II.; die Anderen aber, in deren Namen die Sache später umlief, seien
_Dr._ Hayward und William Shakespeare. Hier also habe Bacon selbst
bekannt, daß er "Richard II." verfaßt und aus Furcht vor dem Zorn der
Königin sich hinter Shakespeare als seinen Strohmann versteckt habe.
Die offene Empörung des Grafen, die er mit seinem Tode als
Hochverräther gebüßt hat, geschah am 8. Februar 1601. Am
Nachmittag des 7. wurde vor den Verschworenen "Richard II."
aufgeführt, um sie sehen zu lassen, wie man einen König entthrone.
Dieses Stück war aber nicht, wie man vielfach angenommen hat--auch
ich habe mich darin geirrt--, Shakespeares gleichnamige Historie, die
auch zu dem revolutionären Zweck schlecht gepaßt hätte, sondern nach
gerichtlicher Aussage und Feststellung ein altes Stück (_old play_), das
seine Zugkraft verloren hatte, weshalb den Schauspielern ein höherer
Preis für die Aufführung gezahlt wurde. [Fußnote: _A declaration of
the practices and treasons attempted and committed by Robert late Earl
of Essex and his complices etc. 1601. Works IX. p. 289-290_.]
Shakespeares "Richard II." war 1597 erschienen. Es ist schon deshalb
unmöglich, daß Bacon aus Beweggründen der Furcht, wozu die
Anlässe erst in den Jahren 1599 bis 1601 eintreten konnten, schon drei
Jahre vorher sich hinter Shakespeare versteckt haben soll.
Dies ist der Mythus von Bacon als dem Verfasser "Richards II.", noch
dazu in staatsgefährlicher Absicht, die nie einem Menschen ferner lag,
vielmehr so sehr zuwiderlief als ihm. Hier ist ein ganzes Nest von
Bacon-Mythen, verworrener Chronologie und falschen
Interpretationen!
Essex und seine Freunde, darunter der auch durch Shakespeare
berühmte Graf Southampton, die Bacon gerichtlich hatte verfolgen
müssen, waren am Hofe zu Edinburg bei Jakob VI., dem Sohne der
Maria Stuart, dem Thronfolger der Elisabeth, wohl angesehen. Gleich
nach dem Tode der Königin verfaßte Bacon jene Denkschrift, in der
seiner dem Grafen Essex erwiesenen guten Gesinnungen und Dienste
ausführlich gedacht war, namentlich auch jenes Sonetts, das er zu

Essex' Gunsten in der Stille von Twickenham Park gedichtet hatte. Jetzt
war Zeit, daran zu erinnern. Er hatte im Interesse und Dienste des
Grafen Essex auch Festspiele componirt, ohne sich als deren Verfasser
zu rühmen. Dies alles mochte dem Dichter John Davies bekannt sein,
der ihm befreundet, bei König Jakob beliebt und zu demselben gereist
war. An diesen seinen Freund schrieb Bacon am 28. März 1603 (gleich
nach dem Tode der Königin) und empfahl sich ihm mit dem Wunsche,
er möge heimlichen Dichtern gut sein (_desiring you to be good to
concealed poets_). [Fußnote: _Works X, p. 65._ Vgl. den Brief an den
Lord Southampton, _p. 75_.]
Dieses Schlußwort des Briefchens erscheint unsern Baconianern
außerordentlich bedeutsam. Hier nennt sich Bacon selbst einen
heimlichen Dichter, er lüftet auf einen Augenblick den Schleier seines
großen Geheimnisses, und man erkennt sogleich--die Züge
Shakespeares!
4. Bacon "unter anderem Namen".
Die Würden und Titel, welche Bacon auf der Höhe seiner Laufbahn
empfing, haben seinen Namen in gewisser Weise verändert. Als er im
Jahre 1618 "Bacon von Verulam" geworden war, schrieb er sich
"Francis Verulam". Nachdem ihn der König in den ersten Tagen des
Jahres 1621, kurz vor seinem schmählichen Sturz, vor feierlich
versammeltem Hofe zum "Viscount von St. Alban" erhoben hatte, hieß
er und schrieb sich "Francis St. Alban". Der Name Bacon verschwindet
hinter dem Titel und der Würde des Pairs: derselbe verhält sich zu
Verulam oder St. Alban, wie Cecil zu Salisbury, Pitt zu Chatham,
Disraeli zu Beaconsfield. Niemand sagt "Pitt von Chatham", niemand
sollte sagen "Bacon von Verulam", aber alle Welt braucht diese
incorrecte Bezeichnung, selbst die Geschichte der Philosophie. Unter
dem Namen "Bacon" oder "Bacon von Verulam" ist er weltberühmt,
unter dem Namen "St. Alban" kennt ihn so gut wie niemand.
Nun schreibt Toby Matthew, einer seiner vieljährigen und vertrautesten
Freunde, der zur römischen Kirche bekehrte Sohn eines englischen
Bischofs, im Jahre 1623 an ihn als "Viscount von St. Alban" und sagt
(wahrscheinlich im Hinblick auf das eben damals in lateinischer
Sprache in neun Büchern erschienene Hauptwerk) in der Nachschrift
seines Briefes: "Der wunderbarste Geist, den ich in meiner Nation und
diesseits der See kennen gelernt habe, ist von Eurer Lordschaft Namen,

aber bekannt ist er unter einem andern".
Hier sehen unsre Baconianer den Schleier des großen Geheimnisses
nicht bloß gelüftet, sondern gefallen, und es erscheint--Shakespeare
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