Shakespeare und die Bacon-Mythen | Page 5

Kuno Fischer
III." befinden.
Aus demselben Blatte stehen gekritzelt einigemale der Name "Francis
Bacon" und acht- bis neunmal der Name "William Shakespeare",
offenbar von der Hand des Abschreibers, der nach Speddings positiver
Erklärung Bacon nicht war. Stammt das Manuscript, wie Spedding
meint, aus dem Zeitalter der Elisabeth, so ist dies vielleicht die einzige
handschriftliche Stelle aus jenen Tagen, wo die beiden Namen Bacon
und Shakespeare unmittelbar neben einander gestellt sind. Das ist recht
interessant, beweist aber für die Bacon-Theorie nicht das Mindeste.
Von "Richard II." und "Richard III." findet sich nichts als die Namen
im Inhaltsverzeichniß. Nun meinen die Baconianer, daß dieses
Manuscript unmittelbar oder mittelbar von Bacon selbst herrühre, daß
es den handschriftlichen Text jener beiden Historien enthalten habe,
noch bevor dieselben gedruckt waren, ja sogar, wie einige zu glauben
scheinen, nicht bloß enthalten habe, sondern noch enthalte!
Wenn man diese Fictionen addirt, so ergiebt sich als Totalsumme der
Mythus: daß Bacon die Shakespearischen Historien verfaßt habe, denn
wer die erste und letzte vor dem Drucke aufgezeichnet hat, wird wohl

den ganzen Cyklus geschrieben haben.
2. Bacon als geheimnißvoller Dichter. Das Sonett.
"Richard II" war gedruckt und "Heinrich V." so gut wie vollendet, als
die Königin im März 1599 ihren Liebling, den Grafen Essex
(keineswegs wider seinen Willen, sondern auf seinen dringenden
Wunsch), als Statthalter nach Irland schickte, um die dortige Rebellion
schnell niederzuwerfen. Alle Welt erwartet seine baldige siegreiche
Rückkehr. Shakespeare hat dem letzten Act "Heinrichs V." einen
Prolog vorausgeschickt, worin er den Grafen schon als Triumphator
begrüßt und mit dem Sieger von Agincourt vergleicht.
Plötzlich kehrt Essex unverrichteter Dinge und eigenmächtig nach
London zurück (Sept. 1599) und überrascht die Königin in ihrem
Palaste Nonsuch. Die ihm zärtlich gesinnte, aber mit Recht erzürnte
Herrscherin beschließt, ihn richten und strafen zu lassen nicht «_ad
ruinam__», wie sie sagt, sondern «_ad correctionem__» und «_ad
reparationem__». Sie hat damals mit Bacon, einem ihrer
außerordentlichen juristischen Räthe, dem Freunde und Günstlinge des
Grafen Essex, öfter über diese Angelegenheit gesprochen. Eines Tages
(im September 1600) kündigt ihm die Königin an, daß sie in seiner
Sommerwohnung zu Twickenham-Park zu Mittag essen wolle. Auf
diese Veranlassung verfaßt Bacon ein Sonett, um die Königin zu feiern
und für den damals verbannten Essex günstig zu stimmen.
Er selbst erzählt diese Begebenheit in seiner späteren
Vertheidigungsschrift wegen seines Verhaltens zu und gegen Essex.
"Ich hatte", so schreibt er, "ein Sonett verfertigt, obgleich ich mich
nicht für einen Dichter ausgebe (though I profess not to be a poet.)"
[Fußnote: _Sir Francis Bacon his apology, in certain imputations
concerning the Late Earl of Essex etc. London 1604. Works X, pag.
139-162_.] Die Baconianer aber lassen ihn sagen: "obwohl ich nicht
bekenne, daß ich ein Dichter bin". Er ist also nach seinem eigenen
Geständniß ein heimlicher Dichter, ein Dichter incognito, d. h.
Shakespeare!
Aus einem heimlichen Dichter, d. i. aus einem Manne, der sich nicht
für einen Dichter hält und ausgiebt, aber in gelegener Stunde sein
Sonett macht, auch wohl ein Festspiel componirt, wird ein
geheimnißvoller Dichter, von dem man nach drei Jahrhunderten
entdeckt, daß er Shakespeare war. Niemals ist ein Gedicht so ergiebig,

so fruchtbar gewesen, wie dieses Sonett, denn es hat in den Köpfen der
Baconianer 36 Dramen und 154 Sonette geboren!
3. Bacon als staatsgefährlicher Dichter.
Kaum hat Bacon in seiner eben erwähnten Apologie, beiläufig gesagt,
dem Muster- und Meisterstück einer Denkschrift, die Geschichte von
jenem Sonette erzählt, so macht er unseren heutigen Baconianern
alsbald noch ein zweites höchst merkwürdiges und folgenreiches
Geständniß.
Ich will vorausschicken, daß Bacon, einer der berühmtesten und
bewährtesten Parlamentsredner Englands, die Kunst der kurzen,
treffenden, bildlich einleuchtenden Rede in hohem Maße besaß und
geflissentlich auszubilden bedacht war. Antworten solcher Art gehörten
zu seinen Specialitäten. Es waren, wie man heute sagt, "geflügelte
Worte", die von seinem Munde weg- und anderen zuflogen, die sie
weitertrugen, wohl auch selbst gesagt haben wollten. Die Königin
liebte solche Reden und Antworten und wußte sie zu erwidern.
Nun hatte ein Dr. Hayward dem Grafen Essex eine Schrift gewidmet,
die von dem ersten Regierungsjahre Heinrichs IV., also von der
Entthronung Richards II. handelte. Die Königin hegte den schlimmsten
Verdacht, sie witterte hochverrätherische Absichten und wollte den
angeblichen Verfasser einsperren und foltern lassen, um den wirklichen
zu erfahren. Bacon suchte die Herrscherin zu begütigen und ihr die
Schrift als unverfänglich darzustellen; es sei nicht Verrath darin
enthalten, sondern Felonie, der Verfasser habe nicht den Thron
gefährdet, sondern den Tacitus bestohlen; die Königin möge nicht den
Mann, sondern seine Feder auf die peinliche Frage stellen, d.h. den
Verfasser in der Clausur die Schrift da fortsetzen lassen, wo er dieselbe
abgebrochen habe; dann wolle er (Bacon) schon erkennen, ob Hayward
der Verfasser sei oben nicht.
In seiner Erzählung, die von jenem Sonette herkommt, fährt Bacon so
fort: "Um dieselbe Zeit, in einer Sache, die mit dem Processe des
Grafen Essex einige Verwandtschaft hatte, gedenke ich einer meiner
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