Shakespeare und die Bacon-Mythen | Page 4

Kuno Fischer
Wortführern der Baconianer sich
einige Advokaten besonders hervorgethan haben. Sobald sie auf
William Shakespeare zu sprechen kommen, reden sie wie von einer
Gegenpartei, deren Verurtheilung auf alle Art zu betreiben sei.
Unwillkürlich gerathen sie daher in den Ton der Schmähung. Da heißt
es: "dieser Bauernjunge, dieser Fleischerlehrling, dieser Wilddieb,
dieser Taugenichts" u.s.f. Wenn es sich darum handelte, W.
Shakespeare heilig zu sprechen, so würde Hr. A. Morgan nicht übel
zum advocatus diaboli taugen, vorausgesetzt, daß er noch heute so
denkt, wie vor fünfzehn Jahren.
Während nun die Baconianer unaufhörlich von einem
"Shakespeare-Mythus" neben, der zu Gunsten Bacons von Grund aus
zerstört werden müsse, häufen sie selbst Mythen über Mythen auf
Bacon, d. h. sie lassen denselben eine Menge Dinge sagen und thun, die
er nie gesagt und nie gethan hat. Von diesen Bacon-Mythen will ich
reden, indem ich ihren Gang, gleichsam ihre Etappen verfolge von den
vermeintlichen äußeren und äußerlichen bis zu den vermeintlichen
inneren und innersten Gründen, auf welche sich die Behauptung stützt:
daß Bacon den Dichter Shakespeare gewesen sei.
3. Unparteiische Stimmen für und wider.
Hören wir zuvor noch einige Stimmen von England her, die sich über
die Frage geäußert haben, ohne darüber zu streiten.
Nach dem Tode des Lord Palmerston (1865) hat man unter anderen
Merkwürdigkeiten von diesem Staatsmann erzählt, daß er gern mit
litterarischen Dingen Staat gemacht und öfter die paradoxe Meinung
hingeworfen habe: nicht Shakespeare, sondern Bacon sei der Verfasser
der nach jenem genannten Stücke gewesen; gelegentlich habe der Lord
das Buch einer amerikanischen Dame herbeigeholt, worin die Sache
bewiesen sei. Es war die Schrift der Ms. Delia Bacon, die, wohl von

ihrem Namen geblendet, die fixe Idee gefaßt hatte, daß Lord Bacon das
System feiner politischen Philosophie in einer Reihe von Schauspielen,
die der Hand Shakespeares anvertraut waren, der Zukunft offenbart
habe. Der "Hamlet" habe gleichsam das Programm der ganzen Serie
enthalten. Um ihre Idee zu beweisen und auszuführen, ist Ms. Delia
Bacon nach England gegangen und hat nach vielen Leiden und
Entbehrungen ihre Irrfahrten im Irrenhause geendet. Wenn es Märtyrer
des Irrthums giebt, so war diese unglückliche Frau ein solcher Märtyrer.
Sie ist durch ihre Schriften aus den Jahren 1856 und 1857 die
Anfängerin, wenn nicht die Begründerin der Bacon-Theorie geworden.
Weit gewichtiger und interessanter als die Späße des Lord Palmerston
sind die Aussprüche eines Mannes, wie Thomas Carlyle, der die
Heroen des Geistes zu würdigen wußte und dazu den Ernst und die
Tiefe der Einsicht wie der Kenntnisse besaß. Er hat sich von Ms. Delia
Bacon besuchen lassen, ihre Ansichten angehört und darauf gesagt: "Ihr
Bacon hätte ebenso gut die Erde erschaffen können, wie den Hamlet!"
Einem gleichzeitigen Briefe an einen amerikanischen Freund hat er die
Nachschrift hinzugefügt: "Ihre Landsmännin ist verrückt". Viele Jahre
vorher, in seinen Vorlesungen über die Heroen und deren Verehrung,
hatte Carlyle auch von Bacon und Shakespeare gesprochen und hier
erklärt: daß jener mit allem Geist, den er gehabt und in seinen Werken
dargelegt habe, diesem gegenüber nur secundär sei, denn Shakespeare
war ein Schöpfer, was Bacon nicht war. Seit den Tagen Shakespeares
sei nur Einer erschienen, der an ihn erinnere: dieser Eine und Einzige
sei Goethe. [Fußnote: Wymann, Nr. 73 und 131. Vergl. Carlyle: «On
Heroes» (1889), p. 97. «The hero as poet.»]
Der jüngste Herausgeber der Gesammtwerke Bacons und sein Biograph,
James Spedding in Cambridge, gegenwärtig wohl die erste Autorität in
Sachen Bacons, ist wiederholt nach seiner Ansicht gefragt worden und
hat sich gegen die Bacon-Theorie völlig ablehnend verhalten. Er hat
einem ihrer Hauptvertreter geantwortet: wer auch die Stücke
Shakespeares geschrieben haben möge, einer gewiß nicht, nämlich
Bacon.
III. DIE ERSTE ART DER BACON-MYTHEN.
1. Bacon als Quelle des Northumberland-Manuscripts.
Im Jahre 1867 ist in der Bibliothek des Grafen Northumberland zu
London ein altes handschriftliches Buch aufgefunden worden,

verstümmelt, defect, angebrannt, welches Abschriften baconischer,
shakespearischer und anderer Werke enthalten hat. Es enthält noch vier
Reden Bacons vollständig (wenn auch etwas beschädigt), von denen
bisher nur ein Theil bekannt war. Diese Reden hatten den Zweck, die
Königin am Queensday, dem Jahrestage ihrer Krönung, zu feiern. Es
galt die Feier des 17. November 1592, als Elisabeth 34 Jahre glorreich
regiert hatte.
Bacon componirt das aufzuführende Festspiel. Vier Personen berathen
die Feier: die erste Rede gilt dem Preise der Tapferkeit, die zweite dem
der Liebe, die dritte dem der Erkenntniß, die vierte der Königin selbst,
die alle diese Tugenden in sich vereinige. Die Rede «_The praise of
knowledge_» ist höchst interessant. Man erkennt darin den
neuerungslustigen Philosophen, den Verfasser des "Neuen Organon",
das erst 28 Jahre später erschien. Das Festspiel heißt «_A conference of
pleasure_». Unter diesem Namen hat Spedding das Northumberland-
Manuscript herausgegeben (1870). [Fußnote: Works VIII (1862), p.
119-126. Vgl. XIV (1874), preface. Diese Sonderausgabe ist
gegenwärtig vergriffen.]
Auf dem ersten Blatte dieses paper book steht die Angabe des Inhalts,
worunter sich auch die Titel: "Richard II." und "Richard
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