Sappho | Page 4

Franz Grillparzer
Lebenslust ein köstlicher Gewinn, Der kühne Mut,
der Weltgebieter Stärke, Entschlossenheit und Lust an dem was ist,
Und Phantasie, hold dienend wie sie soll, Sie schmücken dieses Lebens
rauhe Pfade Und leben ist ja doch des Lebens höchstes Ziel! Umsonst
nicht hat zum Schmuck der Musen Chor Den unfruchtbaren Lorbeer
sich erwählt, Kalt, frucht- und duftlos drücket er das Haupt Dem er
Ersatz versprach für manches Opfer. Gar ängstlich steht sich's auf der
Menschheit Höhn Und ewig ist die arme Kunst gezwungen, (Mit
ausgebreiteten Armen gegen Phaon.) Zu betteln von des Lebens
Überfluß.
Phaon. Was kannst du sagen, holde Zauberin, Das man für wahr nicht
hielte, da du's sagst?
Sappho. Laß uns denn trachten, mein geliebter Freund, Uns beider
Kränze um die Stirn zu flechten, Das Leben aus der Künste

Taumelkelch, Die Kunst zu schlürfen aus der Hand des Lebens. Sieh
diese Gegend, die der Erde halb Und halb den Fluren die die Lethe küßt
An einfach stillem Reiz scheint zu gehören; In diesen Grotten, diesen
Rosenbüschen, In dieser Säulen freundlichen Umgebung, Hier wollen
wir, gleich den Unsterblichen, Für die kein Hunger ist und keine
Sättigung, Nur des Genusses ewig gleiche Lust, Des schönen Daseins
uns vereint erfreun. Was mein ist, ist auch dein. Wenn du's gebrauchst,
So machst du erst daß der Besitz mich freut. Sieh um dich her, du stehst
in deinem Hause. Den Dienern zeig ich dich als ihren Herrn, Der
Herrin Beispiel wird sie dienen lehren. Heraus ihr Mädchen! Sklaven!
Hierher!
Phaon. Sappho! Wie kann ich so viel Güte je bezahlen? Stets wachsend
fast erdrückt mich meine Schuld!

Vierter Auftritt
Eucharis. Melitta. Rhamnes. Diener und Dienerinnen. Vorige.
Rhamnes. Du riefst, Gebieterin!
Sappho. Ja, tretet näher! Hier sehet euern Herrn!
Rhamnes (verwundert, halblaut). Herrn?
Sappho. Wer spricht hier? (Gespannt.) Was willst du sagen?
Rhamnes (zurücktretend). Nichts!
Sappho. So sprich auch nicht! Ihr seht hier euern Herrn. Was er begehrt
Ist euch Befehl nicht minder als mein eigner. Weh dem, der
ungehorsam sich erzeigt, Den eine Wolke nur auf dieser Stirn Als
Übertreter des Gebots verklagt! Vergehen gegen mich kann ich
vergessen, Wer ihn beleidigt wecket meinen Zorn!-- Und nun, mein
Freund, vertrau dich ihrer Sorgfalt, Schwer liegt, ich seh's, der Reise
Last auf dir. Laß sie des Gastrechts heilig Amt versehen, Genieße
freundlich Sapphos erste Gabe!

Phaon. O könnt' ich doch mein ganzes frühres Leben Umtauschend,
wie die Kleider, von mir werfen, Besinnung mir und Klarheit mir
gewinnen, Um ganz zu sein, was ich zu sein begehre! So lebe wohl!
Auf lange, denk ich, nicht!
Sappho. Ich harre dein. Leb wohl.--Du bleib Melitta!
(Phaon und Diener ab.)

Fünfter Auftritt
Sappho. Melitta.
Sappho (nachdem sie ihm lange nachgesehen). Melitta, nun?
Melitta. Was, o Gebieterin?
Sappho. So wallt denn nur in diesen Adern Blut, Und rinnend Eis
stockt in der andern Herzen? Sie sahen ihn, sie hörten seine Stimme,
Dieselbe Luft, die seine Stirn gefächelt, Hat ihre lebenleere Brust
umwallt Und dumpf ist ein: was, o Gebieterin? Der erste Laut, der
ihnen sich entpreßt. Fürwahr, dich hassen könnt' ich!--Geh!
(Melitta geht schweigend.)
Sappho (die sich unterdessen auf die Rasenbank geworfen). Melitta!
Und weißt du mir so gar nichts denn zu sagen, Was mich erfreuen
könnte, liebes Kind? Du sahst ihn doch, bemerktest du denn nichts,
Was wert gesehn, erzählt zu werden wäre? Wo waren deine Augen,
Mädchen?
(Sie bei der Hand ergreifend und an ihre Knie ziehend.)
Melitta. Du weißt wohl noch, was du uns öfters sagtest, Daß Jungfraun
es in Fremder Gegenwart Nicht zieme frei die Blicke zu versenden.
Sappho. Und armes Ding, du schlugst die Augen nieder? (Küßt sie.)

Das also war's? Mein Kind die Lehre galt Nicht dir, den Altern nur, den
minder Stillen! Dem Mädchen ziemt noch was der Jungfrau nicht. (Sie
mit den Augen messend.) Doch sieh einmal; wie hast du dich verändert
Seit ich dich hier verließ. Ich kenne dich nicht mehr. Um so viel größer
und--(Küßt sie wieder.) Du süßes Wesen! Du hattest recht, die Lehre
galt auch dir! (Aufstehend.) Warum so stumm noch immer und so
schüchtern? Du warst doch sonst nicht so. Was macht dich zagen?
Nicht Sappho, die Gebietrin steht vor dir, Die Freundin Sappho spricht
mit dir Melitta. Der Stolz, die Ehrbegier, des Zornes Stachel Und was
sonst schlimm an deiner Freundin war Es ist mit ihr nach Hause nicht
gekehret; Im Schoß der Fluten hab ich es versenkt, Als ich an seiner
Seite sie durchschiffte. Das eben ist der Liebe Zaubermacht Daß sie
veredelt, was ihr Hauch berührt, Der Sonne ähnlich deren goldner
Strahl Gewitterwolken selbst in Gold verwandelt. Hab ich dich je mit
rascher Rede, je Mit bitterm Wort gekränkt, o so verzeih! In Zukunft
wollen wir als traute Schwestern In seiner Nähe leben, gleichgepaart,
Allein durch seine Liebe unterschieden. O ich will gut noch werden,
fromm und gut!
Melitta. Bist du's nicht jetzt, und warst du
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