Romeo und Juliette | Page 6

William Shakespeare
sagen, daß ich hurtig lauffen sollte; und seitdem ist es nun eilf
Jahre, denn sie konnte damals schon allein stehen; ja, bey meiner Treu,
sie, konnte schon lauffen, und watschelte schon allenthalben herum;
dann just den Tag vorher, da sie das Loch in ihre Stirne fiel, und da hub
mein Mann (Gott tröst ihn, er war ein muntrer Mann) da hub er das
Kind auf; so, sagt' er, fällst du auf die Nase? Du wirst auf den Rüken
fallen, wenn du mehr Verstand haben wirst; wirst du nicht Julchen?
Und, bey unsrer lieben Frauen! Das artige Tröpfchen hörte auf
schreyen, und sagte, Ay--so daß man sehen kan, wie endlich aus Spaß
Ernst wird--Da steh ich dafür, und wenn ich tausend Jahre leben sollte,
so vergeß ichs nicht: Wirst du nicht, Julchen, sagt' er? Und das artige
Närrchen, es hörte auf schreyen, und sagte, Ay!
Lady Capulet. Genug hievon, ich bitte dich, stille!
Amme. Ja, Gnädige Frau; und doch kan ich mir nicht helfen, ich muß
lachen, wenn ich dran denke daß es aufhörte zu schreyen, und Ay sagte;
und doch bin ich gut dafür, daß es eine Beule an der Stirne hatte, so dik
wie ein junger Hahnen-Stein, eine recht gefährliche Beule, und es
weinte bitterlich. So, sagte mein Mann, fällst du auf die Nase? Du wirst
rükwärts fallen, wenn du älter wirst, wirst du nicht, Julchen? Und da
schwieg es, und sagte, Ay.
Juliette. Und schweig du auch, ich bitte dich, Amme, sag ich.
Amme. Still, ich bin fertig: Gott zeichne dich zu seinem Segen aus! Du
warst das holdseligste Kind, das ich gesäugt habe; und wenn ich nur so
lange lebe, daß ich dich verheurathet sehe, so wünsch' ich mir nichts
mehr.
Lady Capulet. Diese Heurath ist eben die Sache, wovon ich reden
wollte. Sagt mir, Tochter Juliette, habt ihr Lust zum Heurathen?
Juliette. Es ist eine Ehre, von der ich mir nicht träumen lasse.
Amme. Eine Ehre? Wenn ich nicht deine leibliche Amme wäre, so
würd' ich sagen, du habst die Weisheit mit der Milch eingezogen.
Lady Capulet. Gut, es ist nun Zeit daran zu denken; es giebt hier in
Verona jüngere als ihr, und Frauenzimmer von Stand und Ansehen, die
schon Mütter sind. Bey meiner Ehre, in dem Alter worinn ihr noch ein
Mädchen seyd, war ich schon eure Mutter. Ich will's also kurz machen,
und euch sagen, daß sich der junge Paris um euch bewirbt.
Amme. Ein Mann, junges Fräulein, ein Mann, dessen gleichen in der
ganzen Welt--Sapperment! es ist ein Mann wie in Wachs boßiert.

Lady Capulet. Verona's Sommer hat keine schönere Blume.
Amme. Das ist wahr, er ist eine Blume; mein Treu, eine wahre Blume.
Lady Capulet. Was sagt ihr dazu? Gefällt euch der Cavalier? Ihr werdet
ihn diese Nacht bey unserm Gastmahl sehen; beobachtet ihn recht, ihr
werdet gestehen müssen, daß nichts liebenswürdigers seyn kan. Er ist
eurer würdig, und wird euch glüklich machen*--Doch, ihr habt ihn ja
sonst schon gesehen; sagt, mit einem Wort, könnt ihr euch seine Liebe
gefallen lassen?
{ed.-* Man hat gut gefunden diese Rede zu verändern und abzukürzen.
Sie ist im Original die Grundsuppe der abgeschmaktesten Art von Wiz,
und des Characters einer Mutter äusserst unwürdig. Pope scheint zu
vermuthen, daß sie von Schauspielern eingeflikt worden sey.}
Juliette. Ich will ihn erst genauer betrachten; alles was ich izt sagen kan,
ist, daß meine Augen allezeit durch euern Willen geleitet werden sollen.
(Ein Bedienter zu den Vorigen.)
Bedienter. Gnädige Frau, die Gäste sind angekommen, das Essen ist
aufgetragen, man wartet auf Euer Gnaden und mein junges Fräulein,
man flucht auf die Amme im Speißgewölbe, und alles ist in der
Extremität. Ich muß wieder zur Aufwartung; ich bitte euch, kommet
augenbliklich.
Lady Capulet. Wir kommen--Juliette, es wird den Grafen nach dir
verlangen.
Amme. Geh, Mädchen, und suche zu deinen guten Tagen auch
glükliche Nächte. (Sie gehen ab.)

Fünfte Scene. (Eine Strasse vor Capulets Haus.) (Romeo, Mercutio,
Benvolio mit fünf oder sechs andern Masken, Fakel-Trägern und
Trummeln.)
Romeo. Wie, soll diese Rede unsre Entschuldigung machen, oder
wollen wir ohne Apologie auftreten?
Benvolio. Diese Weitläufigkeiten sind nicht mehr Mode. Wir brauchen
keinen Cupido, mit einer Schärpe von Flittergold und einem gemahlten
Tartar-Bogen von Schindeln, der die armen Mädchen, wie ein Vögel-
Schrek die Krähen, zu fürchten macht. Sie mögen von uns halten was
sie wollen, wenn wir ihnen nicht gefallen, oder sie uns nicht, so gehen
wir wieder.
Romeo. Gebt mir eine Fakel; ich bin nicht im Humor, Sprünge zu

machen.
Mercutio. Nicht doch, mein lieber Romeo, ihr müßt eins tanzen.
Romeo. Ich gewiß nicht, das glaubt mir; ihr habt Tanzschuhe mit
dünnen Solen, ich habe eine Seele von Bley,* die mich so zu Boden
zieht, daß ich nicht von der Stelle kommen kan.
{ed.-* Wortspiel mit Sole, und Soul, welche fast gleich ausgesprochen
werden. }
Mercutio. Ihr seyd ein Liebhaber; borgt
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