Romeo und Juliette | Page 5

William Shakespeare
du dir damit, daß du dich wieder zurük
drehest, und deiner Hoffnungslosen Liebe kan nicht besser als durch
eine neue geholfen werden.
Romeo. Wegbreit-Blätter sind unvergleichlich für das.
Benvolio. Für was, wenn man bitten darf?
Romeo. Für euern Beinbruch.
Benvolio. Wie, Romeo, bist du toll?
Romeo. Nicht toll, aber fester angebunden als irgend einer im
Tollhause; in ein Gefängniß eingesperrt, zur Hunger-Cur verurtheilt,
gepeitscht und gepeinigt: Und--guten Abend, Camerad--
(Zum Bedienten.)
Bedienter. Einen guten Abend geb' euch Gott: Ich bitte euch, Herr,
könnt ihr lesen?
Romeo. Ja, mein Schiksal in meinem Unglük.
Bedienter. Vielleicht habt ihr ohne Buch lesen gelernt; aber ich bitte
euch, könnt ihr alles lesen was ihr seht?
Romeo. Ja, wenn ich die Buchstaben und die Sprache weiß.
Bedienter. Das ist gesprochen wie ein Bidermann--Gott behüt' euern
guten Humor!

(Er will gehen.)
Romeo. Bleib, Bursche, ich kan lesen--(Er ließt das Papier.) Signor
Martino und seine Frau und Töchter: Graf Anselmo und seine schönen
Schwestern; die verwittibte Donna Vitruvia; Signor Placentio und seine
liebenswürdige Nichten; Mercutio und sein Bruder Valentin; mein
Oheim Capulet mit Frau und Töchtern; meine schöne Nichte Rosalinde;
Livia, Signor Valentio und sein Vetter Tybalt; Lucio, und die lebhafte
Signora Helena-- Eine hübsche Assamblee, und wohin sollen sie
kommen?
Bedienter. Herauf--
Romeo. Wohin?
Bedienter. Zum Nacht-Essen in unser Haus.
Romeo. In wessen Haus?
Bedienter. In meines Herren seines.
Romeo. In der That, das hätte ich dich vorher fragen sollen.
Bedienter. Nein, ich will euch eine Müh ersparen. Mein Herr ist der
grosse reiche Capulet, und wenn ihr keiner vom Haus der Montägues
seyd, so bitt' ich euch, kommt, und helft uns die Gläser ausleeren. Eine
gute Zeit.
(Geht ab.)
Benvolio. Wie wohl sich das fügt! die schöne Rosalinde, in die du so
verliebt bist, wird mit allem was das Schönste in Verona ist, diesem
Familien-Gastmal der Capulets beywohnen. Geh du auch hin, vergleich
mit unpartheyischen Augen ihr Gesicht mit einigen, die ich dir zeigen
will, und du sollst finden, daß dein Schwan eine Krähe ist.
Romeo. **--Eine schönere als meine Liebe! die allsehende Sonne sah
niemals ihres gleichen, seit die Welt begann.
{ed.-** Eine Lüke von vier abgeschmakten Reimen.}
Benvolio. Gut, gut! Ihr habt sie nur gesehen, wenn keine andre dabey
war, und ihr sie, in beyden Augen, nur mit sich selbst abwoget; aber
laßt ihre Reizungen in diesen crystallnen Waagschaalen gegen ein
gewisses andres Mädchen, das ich euch bey diesem Gastmahl in seinem
vollen Glanze zeigen will, abgewogen werden; so wird euch diejenige
kaum noch erträglich vorkommen, die izt die beste scheint.
Romeo. Ich will mit dir gehen, nicht weil ich dir glaube, sondern um
das Vergnügen zu haben, dich von dem Triumph meiner Geliebten zum
Zeugen zu machen.

(Sie gehen ab.)

Vierte Scene. (Verwandelt sich in Capulets Haus.) (Lady Capulet und
die Amme treten auf.)
Lady. Amme, wo ist meine Tochter? Ruffe sie zu mir heraus.
Amme. Nun, bey meiner Jungferschaft, (wie ich zwölf Jahre alt war,
meyn' ich;) ich sagte ihr, sie möchte kommen; wie, Schäfchen--he!
Mein Däubchen--daß uns Gott behüte! Wo ist das Mädchen? he!
Juliette! (Juliette zu den Vorigen.)
Juliette. Was ists? Wer ruft?
Amme. Eure Frau Mutter.
Juliette. Madam, hier bin ich, was ist euer Wille?
Lady. Das ist eben die Sache--Amme, verlaß uns eine Weile, wir
müssen allein mit einander reden; Amme, komm wieder zurük, ich
habe mich anders besonnen, du darfst wohl bey unsrer Unterredung
zugegen seyn: du weist, meine Tochter hat ein artiges Alter.
Amme. Mein Treu, ich kan ihr Alter bey einer Stunde sagen.
Lady. Sie ist noch nicht vierzehn.
Amme. Ich will gleich vierzehn Zähne daran sezen, (und doch muß
ich's zu meiner Schande sagen, ich habe nur noch vier,) sie ist nicht
vierzehn; wie lang ist es noch von izt bis an St. Peters-Tag?
Lady. Vierzehn Tage, oder noch ein paar drüber.
Amme. Sey es vierzehn Tage oder fünfzehn, das thut nichts, kommt St.
Peters-Abend, so wird sie vierzehn seyn. Süßchen und sie (Gott tröst
ihre Seele!) waren von gleichem Alter. Wohl, Süßchen ist im Himmel,
sie war zu gut für mich. Aber, wie ich sagte, an St. Peters- Abend des
Nachts wird sie vierzehn seyn, das wird sie, meiner Six, ich erinnre
mich's als ob's seit gestern wäre. Es ist seit dem Erdbeben nun eilf Jahre
daß sie entwöhnt wurde; unter allen Tagen im Jahr will ich den Tag
nicht vergessen; ich hatte denselben Tag Wermuth an meine Brust
gestrichen, und saß in der Sonne an der Mauer unter dem
Dauben-Schlag; der Gnädige Herr und Eu. Gnaden waren damals zu
Mantua--gelt, ich kan etwas im Kopf behalten?--Aber, wie ich sagte,
wie das Kind den Wermuth an meiner Brustwarze kostete, und
schmekte daß es bitter war, das artige Närrchen, da hättet ihr sehen
sollen, wie es so gescheid war und augenbliklich die Brust fahren ließ.
Schüttle dich, sagte der Dauben-Schlag--mein Treu! es mußte mir

niemand
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