Romeo und Juliette | Page 4

William Shakespeare
Mittel, alle Augenblike an den Vorzug der
ihrigen erinnert zu werden. Diese glüklichen Schleyer, die die Stirne
schöner Damen küssen, erheben durch ihre Schwärze, die Schönheit, so
sie verbergen. Wer durch einen Unfall blind worden ist, kan nicht
vergessen, was für einen kostbaren Schaz er mit seinem Gesicht
verlohren hat. Zeigt mir ein Frauenzimmer, das unter tausenden die
schönste ist; wozu kan mir ihre Schönheit dienen, als zu einem Spiegel,
worinn ich diejenige erblike, die noch schöner als die schönste ist?
Lebe wohl, und gieb' es auf, mich sie vergessen zu lehren.
Benvolio. Ich will diesen Unterricht bezahlen, oder als Schuldner
sterben.
(Sie gehen ab.)

Dritte Scene. (Capulet, Paris, und ein Bedienter treten auf.)
Capulet. Montague ist so gut gebunden als ich; er hat die nemliche
Straffe zu befürchten; und für alte Leute wie wir sind, sollt' es nicht
schwer seyn, Frieden zu halten.
Paris. Ihr seyd beyde rechtschaffne Männer, und es ist recht zu
bedauren, daß ihr so lang in Mißhelligkeit gelebt habt--Aber nun,
gnädiger Herr, was sagt ihr zu meiner Anwerbung?
Capulet. Ich kann euch nichts anders sagen, als was ich schon gesagt
habe: Mein Kind ist noch ein neu angekommener Fremdling in der
Welt, sie hat noch nicht vierzehn Jahre gesehen; laßt wenigstens noch
zween Sommer verblühen, eh wir denken können, daß sie zum
Braut-Stande reif sey.
Paris. Jüngere als sie, sind schon glükliche Mütter geworden.
Capulet. Und verderben auch desto früher, je frühzeitigere Früchte von
ihnen erzwungen werden. Die Erde hat alle meine andern Hoffnungen

verschlungen; ich habe kein Kind als sie; sie ist das einzige Vergnügen
meines Alters, indeß bewirb dich bey ihr selbst um sie, mein lieber
Paris, such ihr Herz zu gewinnen; wenn du ihren Beyfall hast, so hast
du meine Einwilligung. Diese Nacht geb' ich, einer alten Gewohnheit
nach, ein Gastmahl, wozu ich viele werthe Freunde eingeladen habe:
Vermehret ihre Anzahl, unter allen soll mir keiner willkommner seyn.
Ihr werdet diese Nacht in meinem armen Haus irdische Sterne sehen,
welche die himmlischen selbst verdunkeln können.* Ihr werdet mit
dem Vergnügen, das muntre junge Leute fühlen wenn der schmuke
April den hinkenden Winter vor sich hertreibt, unter einem Frühling
voll neu entfalteter Mädchen- Knospen wandeln; betrachtet sie alle,
höret alle, und laßt euch diejenige am besten gefallen, die es am
meisten verdient; ihr werdet so viele liebenswürdigere finden, daß die
meinige sich unbemerkt in der Menge verliehren wird. Kommt, geht
mit mir--Du, Bursche, geh, trotte ganz Verona durch, und lade die
Personen zu mir ein, deren Namen auf diesem Zettel stehen--
{ed.-* Hr. Warbürton ist der Welt als ein grosser Criticus bekannt, und
es ist gewiß, daß wir seiner Scharfsinnigkeit viele Verbesserungen
unsers durch die Schauspieler so übel zugerichteten Autors zu danken
haben. Dem ungeachtet, scheint er zuweilen in den fast allgemeinen
Fehler der Verbal-Critiker zu fallen, und mit dem Shakespear nicht viel
besser zu verfahren, als der gelehrte Bentley mit dem Horaz. Hier ist
ein Beyspiel davon, das wir zur Probe anführen wollen, ob es gleich
sonst desto unnöthiger ist, die Leser mit critischen Noten zu behelligen,
da selbige die Kenntniß der Englischen Sprache voraussezen, und diese
Übersezung nur für diejenige gemacht ist, die das Original nicht lesen
können. Warbürton nennt den Vers: (Earthtreading stars that make dark
heaven's Light), Unsinn, und will daß man lesen soll: (That make dark
Even light)--Eine Verbesserung im echten Bentleyischen Geschmak!
Die Verbesserung ist wahrer Unsinn, der Text aufs höchste eine weder
ungewöhnliche noch unschikliche Hyperbole. Es ist etwas sehr
mögliches, daß die irdischen Sterne, welche Shakespear meynt, bey
einem Bal den Glanz der himmlischen in den Augen eines jungen
Liebhabers verdunkeln; und das ist der natürlichste Sinn des Texts:
Aber daß eine ganze Schaar der schimmerndsten Schönen durch den
blossen Glanz ihrer Augen, einen Tanzsaal so wol erleuchten sollte,
daß man die Lichter dabey ersparen könnte, ist mehr als man auch der

feurigsten Orientalischen Einbildungskraft zumuthen dürfte. Wenn wir,
wie schon öfters geschehen ist, die Lesart des Texts der vermeynten
Verbesserung des Hrn. Warbürtons vorziehen, so geschieht es allemal
mit so gutem Grund als dieses mal, obgleich manche von denenjenigen,
die wir verwerfen, seinem Wiz mehr Ehre machen, als die
gegenwärtige.}
(Capulet und Paris gehen ab.)
Bedienter. Lade mir die Personen ein, die auf diesem Zettel stehen--Es
steht geschrieben, der Schuster soll sich mit seinem Ellen-Stab abgeben,
der Schneider mit seinem Leist, der Fischer mit seinem Pinsel, und der
Mahler mit seinem Nez. Aber ich soll die Personen finden, deren
Namen hier geschrieben sind, und kan doch nicht finden, was für
Namen die schreibende Person hieher geschrieben hat. Ich muß mich
bey den Gelehrten Raths erholen--Da lauffen mir gerad ihrer ein Paar in
die Hände--
(Benvolio und Romeo treten auf.)
Benvolio. Still, Mann! Eine Hize treibt die andre aus, und die Pein
eines Schmerzens wird durch einen andern Schmerz vermindert; wenn
dir taumlicht ist, so hilfst
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