Romeo und Juliette | Page 3

William Shakespeare
geschlagen.
Romeo. Weh mir! Wie lang scheinen uns Kummer-volle Stunden! War
das mein Vater, der so eilfertig sich entfernte?
Benvolio. Er war's; aber was für ein Kummer verlängert Romeo's
Stunden?
Romeo. Der Kummer, das nicht zu haben, was sie verkürzen würde.

Benvolio. Seyd ihr verliebt?
Romeo. Ohne Hoffnung wieder geliebt zu werden.
Benvolio. Wie Schade, daß die Liebe, die von Ferne so reizend
anzusehen ist, so grausam und tyrannisch seyn soll, so bald sie uns
erreicht!
Romeo. Wie Schade, daß die Liebe, mit verbundnen Augen, Pfade zu
ihrem Unglük sehen soll!--Wo werden wir zu Mittag essen?--Weh
mir!--Was für ein Tumult war vorhin?--Doch sagt mir nichts davon, ich
hab alles schon gehört. Der Haß macht hier viel zu thun, aber die Liebe
noch mehr: Wie dann, o mißhellige Liebe! o liebender Haß! O
unwesentliches Etwas, und würkliches Nichts! So leicht und doch zu
Boden drükend! So ernsthaft und doch Tand! Du ungestaltes Chaos von
reizenden Phantomen! Bleyerne Feder, glänzender Rauch, kaltes Feuer,
kranke Gesundheit, immer-wachender Schlaf--o! du wunderbares
Gemisch von Seyn und Nichtseyn!--Das ist die Liebe die ich fühle,
ohne in dem was ich fühle die Liebe zu erkennen--Lachst du nicht?
Benvolio. Nein, Vetter, ich möchte lieber weinen.
Romeo. Du gutes Herz! Worüber?
Benvolio. Dein gutes Herz so beklemmt zu sehen.
Romeo. Du vermehrest meinen Kummer durch den deinigen, anstatt
ihn zu erleichtern.**--Liebe ist ein Rauch, der vom Hauch der Seufzer
erregt wird, aber gereinigt ein Feuer das in der Liebenden Augen
schimmert--Unglükliche Liebe ist eine See, die mit den Thränen der
Liebenden genährt wird; was ist sie noch mehr? Eine vernünftige
Tollheit, eine erstikende Galle, eine erquikende Herzstärkung--Lebt
wohl, Vetter.
{ed.-** Es ist ein Unglük für dieses Stük, welches sonst so viele
Schönheiten hat, daß ein grosser Theil davon in Reimen geschrieben ist.
Niemals hat sich ein poetischer Genie in diesen Fesseln weniger zu
helfen gewußt als Shakespear; seine gereimten Verse sind meistens hart,
gezwungen und dunkel; der Reim macht ihn immer etwas anders sagen
als er will, oder nöthigt ihn doch, seine Ideen übel auszudrüken. Die
Feinde des Reims werden dieses vielleicht als eine neue Instanz
anziehen, um diese vergebliche Fesseln des Genie den Liebhabern und
Lesern so verhaßt zu machen, als sie ihnen sind. Aber warum hat z. Ex.
Pope die schönsten Gedanken, die schimmerndste Einbildungskraft,
den feinsten Wiz, den freyesten Schwung, den lebhaftesten Ausdruk,

die gröste Anmuth, Zierlichkeit, Correction, und über alles dieses, den
höchsten Grad der musicalischen Harmonie, deren die Poesie in seiner
Sprache fähig ist, in seinen Gedichten mit dem Reim durchaus zu
verbinden gewußt? Die Reime können vermuthlich nichts dazu, wenn
sie für einige Dichter schwere Ketten mit Fuß-Eisen sind; für einen
Prior oder Chaulieu sind sie Blumen-Ketten, womit die Grazien selbst
sie umwunden zu haben scheinen, und in denen sie so leicht und frey
herumflattern als die Scherze und Liebes-Götter, ihre beständigen
Gefehrten. Shakespears Genie war zu feurig und ungestüm, und er
nahm sich zu wenig Zeit und Mühe seine Verse auszuarbeiten; das ist
die wahre Ursache, warum ihn der Reim so sehr verstellt, und seinen
Übersezer so oft zur Verzweiflung bringt.}
(Er will gehen.)
Benvolio. Sachte, ich will mitgehen. Ihr beleidigt meine Freundschaft,
wenn ihr mich auf eine solche Art verlaßt.
Romeo. Still! Ich habe mich selbst verlohren, ich bin nicht hier; das ist
nicht Romeo, er ist sonst irgendwo.
Benvolio. --*** Aber wer ist dann die Person, die du liebst?
{ed.-*** Hier haben etliche (Non-Sensicalische) Zeilen ausgelassen
werden müssen.}
Romeo. Ich will dir's sagen, Vetter; ich liebe--ein Weibsbild.
Benvolio. Das errieth ich, sobald ich merkte, daß ihr verliebt wäret.
Romeo. Du hast eine vortreffliche Gabe zum Errathen--und sie ist
schön, die ich liebe.
Benvolio. Ein schönes Ziel ist desto leichter zu treffen.
Romeo. Aber sie wird von Cupido's Pfeile nicht getroffen werden; sie
hat Dianens Sprödigkeit, und lebt in der wolgestählten Rüstung ihrer
Keuschheit sicher vor Amors kindischem Bogen. Sie sezt sich keinen
nachstellenden Bliken aus, sie öffnet ihr Ohr keinen Liebes-
Erklärungen, noch ihren Schooß dem Golde, das sonst oft die Heiligen
selbst verführt. O! Sie ist reich an Schönheit, und allein darinn arm, daß
der ganze Schaz der Schönheit, in ihr versammelt, sterblich ist.
Benvolio. Hat sie denn geschworen, daß sie in ewiger Jungfrauschaft
leben will?
Romeo. Sie hat, und macht sich durch diese Sparsamkeit einer
ungeheuren Verschwendung schuldig. Denn Schönheit, die durch ihre
eigne Strenge umkommt, vernichtet auf einmal die Schönheit einer

ganzen Nachkommenschaft. Sie ist zu weise um so schön, oder zu
schön um so weise zu seyn; und es ist grausam an ihr, den Himmel
damit verdienen zu wollen, daß sie mich zur Verzweiflung treibt--
Benvolio. Laßt euch einen guten Rath geben, und vergeßt, an sie zu
denken.
Romeo. O lehre mich erst, wie ich vergessen kan, mich meiner selbst
zu erinnern.
Benvolio. Gieb deinen Augen ihre Freyheit wieder; lenke deine
Aufmerksamkeit auf andre Schönheiten.
Romeo. Das wäre das
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