Romeo und Juliette | Page 2

William Shakespeare
Capulet.)
Capulet. Was für ein Lerm ist das? Gebt mir meinen langen Degen, he!
Lady Capulet. Eine Krüke, eine Krüke--was wollt ihr mit einem Degen
machen?
Capulet. Meinen Degen, sag ich; da kommt der alte Montague, und
fuchtelt mir mit seiner Klinge unter die Nase--
(Der alte Montague, und Lady Montague.)
Montague. Du nichtswürdiger Capulet--Halt mich nicht, laß mich gehn!
Lady Montague. Du sollt mir keinen Fuß rühren, um einen Feind zu
suchen.
(Der Fürst von Verona mit seinem Gefolge tritt auf, erzürnt sich
gewaltig über diesen Unfug, wirft den beyden Alten vor, daß sie ihrer
Familien-Feindschaft wegen Verona schon dreymal in Aufruhr gesezt,
verbietet ihnen bey Todes-Straffe die Strassen nicht mehr zu
beunruhigen, und tritt, nachdem er sie geschieden, wieder ab.)

Zweyte Scene. (Der alte Montague, Lady Montague, und Benvolio
bleiben zurük.)
Lady. Wer brachte diesen alten Handel wieder in Bewegung? Redet,
Neffe, war't ihr dabey, wie er angieng?

Benvolio. Hier fand ich die Bedienten euers Gegentheils, und die
eurigen, die sich mit einander herumschlugen, wie ich kam; ich brachte
sie aus einander: In dem nemlichen Augenblik kam der feurige Tybalt
mit gezognem Degen, den er unter drohenden Herausforderungen über
meinem Kopf schwang, und damit auf die Winde zuhieb, die so wenig
nach seinen Streichen fragten, daß sie ihn noch dazu auszischten. Wie
wir nun an einander waren, so kamen immer mehr Leute, und fochten
zu beyden Seiten, bis der Fürst kam, und uns aus einander sezte.
Lady. O wo ist Romeo? Habt ihr ihn heute nie gesehen? Ich bin recht
froh, daß er nicht bey dieser Schlägerey war.
Benvolio. Madam, eine Stunde eh die* Sonne aufgieng, trieb mich ein
beunruhigtes Gemüth aufzustehen, und vor die Stadt hinaus zu gehen;
und da traf ich auf der West-Seite der Stadt euern Sohn einsam unter
einem Gang von Egyptischen Feigen-Bäumen an. Ich gieng auf ihn zu;
aber kaum ward er mich gewahr, so schlich er sich in das dichteste
Gehölze. Ich urtheilte von seiner Gemüths-Beschaffenheit nach der
meinigen, (denn wir sind innerlich nie mehr beschäftigst, als wenn wir
die Einsamkeit suchen,) und anstatt ihm nachzugehen, gieng ich
meinen Gedanken nach, und war so vergnügt, daß er mich ausgewichen
hatte, als er selbst.
{ed.-* Im Original: "Eh die angebetete Sonne sich durch das goldne
Fenster des Osten sehen ließ." Es ist nichts leichters, als durch eine
allzuwörtliche Übersezung den Shakespear lächerlich zu machen, wie
der Herr von Voltaire neulich mit einer Scene aus dem Hamlet eine
Probe gemacht, die wir an gehörigem Ort ein wenig näher untersuchen
wollen. Indeß erzürnt sich doch Herr Freron zu sehr über diese und
andre Alters-Schwachheiten des Autors der Zayre. Er mag seine
Ursachen dazu haben; aber die Welt urtheilt mit kälterm Blute;
wenigstens werden die Briten, welche sehr wol wissen warum sie auf
ihren Shakespear stolz sind, es dem französischen Poeten sehr leicht zu
gut halten können, daß er (in einem Alter, wo er sich nicht mehr stark
genug fühlt, sich mit der Beute die er ihrem Shakespear abgenommen
zu brüsten) seine Freude daran hatte, durch eine Schulknaben-mäßige
Nachäffung den Narren mit ihm zu spielen, und dadurch dem Publico
wenigstens eben so viel Spaß zu machen, als er selbst von einer so
kindischen Kurzweil nur immer haben kann.}
Montague. Schon manchen Morgen ist er dort gesehen worden, wie er

den frischen Morgenthau mit seinen Thränen, und die Morgen-Wolken
mit tieffen Seufzern vermehrte; aber kaum fängt die alles erfreuende
Sonne an, im fernsten Osten die Vorhänge von Aurorens Bette
wegzuziehen, so schleicht sich der schwermüthige Jüngling vom Licht
nach Hause und kerkert sich in sein Zimmer ein, versperrt seine Fenster,
schließt das schöne Tageslicht hinaus, und macht sich selbst eine
erkünstelte Nacht. Er muß nothwendig in einen schwarzen und
Unglük-brütenden Humor verfallen wenn nicht bey Zeiten darauf
gedacht wird, die Ursache des Übels wegzuräumen.
Benvolio. Mein edler Oheim, kennt ihr die Ursache?
Montague. Ich kenne sie nicht, und kan sie auch nicht aus ihm
herausbringen.
Benvolio. Habt ihr schon in ihn gedrungen?
Montague. Durch euch selbst und durch viele andre Freunde, aber
vergebens; seines eignen Herzens geheimer Rathgeber, ist er gegen sich
selbst, ich will nicht sagen so getreu, aber doch so geheim und
verschwiegen, so entfernt sich selbst zu verrathen, oder nur einer
Muthmassung Grund zu geben, als eine Blumen-Knospe, die von
einem inwendig verborgnen Wurm gebissen worden, eh sie ihre zarten
Schwingen an der Luft ausspreiten, und ihre Schönheit der Sonne
wiedmen konnte. Könnt' ich nur erfahren, woher sein Kummer
entspringt, es sollte ihm augenbliklich abgeholfen werden. (Romeo tritt
auf.)
Benvolio. Hier kommt er selbst; wenn's euch beliebt, so gehet bey Seite;
ich will sein Geheimniß ausfündig machen, oder ich müßte mich sehr
betrügen.
Montague. Ich wünsche, daß du so glüklich seyn mögest--Kommt
Madam, wir wollen gehen.
(Sie gehen ab.)
Benvolio. Guten Morgen, Vetter.
Romeo. Ist der Tag noch so jung?
Benvolio. Es hat eben neune
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 37
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.