Romanzero | Page 8

Heinrich Heine
sich.
Es stehen regungslos die Zypressen,
Wie himmelträumend, wie
weltvergessen.
Doch plötzlich erklingt bei Lautenklang
Ein sanft geheimnisvoller
Gesang.
Der Schach fährt auf, als wie behext -
Von wem ist dieses Liedes
Text?
Ansari, an welchen die Frage gerichtet,
Gab Antwort: Das hat Firdusi
gedichtet.

Firdusi? - rief der Fürst betreten -
Wo ist er? Wie geht es dem großen
Poeten?
Ansari gab Antwort: In Dürftigkeit
Und Elend lebt er seit langer Zeit
Zu Thus, des Dichters Vaterstadt,
Wo er ein kleines Gärtchen hat.
Schach Mahomet schwieg, eine gute Weile,
Dann sprach er: Ansari,
mein Auftrag hat Eile -
Geh nach meinen Ställen und erwähle
Dort hundert Maultiere und
funfzig Kamele.
Die sollst du belasten mit allen Schätzen,
Die eines Menschen Herz
ergötzen,
Mit Herrlichkeiten und Raritäten,
Kostbaren Kleidern und
Hausgeräten
Von Sandelholz, von Elfenbein,
Mit güldnen und silbernen
Schnurrpfeiferein,
Kannen und Kelchen, zierlich gehenkelt,
Lepardenfellen, groß
gesprenkelt,
Mit Teppichen, Schals und reichen Brokaten,
Die fabriziert in meinen
Staaten -
Vergiß nicht, auch hinzuzupacken
Glänzende Waffen und
Schabracken,
Nicht minder Getränke jeder Art
Und Speisen, die man in Töpfen
bewahrt,
Auch Konfitüren und Mandeltorten,
Und Pfefferkuchen von allen
Sorten.

Füge hinzu ein Dutzend Gäule,
Arabischer Zucht, geschwind wie
Pfeile,
Und schwarze Sklaven, gleichfalls ein Dutzend,
Leiber von Erz,
strapazentrutzend.
Ansari, mit diesen schönen Sachen
Sollst du dich gleich auf die Reise
machen.
Du sollst sie bringen nebst meinem Gruß
Dem großen Dichter Firdusi
zu Thus.
Ansari erfüllte des Herrschers Befehle,
Belud die Mäuler und Kamele
Mit Ehrengeschenken, die wohl den Zins
Gekostet von einer ganzen
Provinz.
Nach dreien Tagen verließ er schon
Die Residenz, und in eigner
Person,
Mit einer roten Führerfahne,
Ritt er voran der Karawane.
Am achten Tage erreichten sie Thus;
Die Stadt liegt an des Berges
Fuß.
Wohl durch das Westtor zog herein
Die Karawane mit Lärmen und
Schrein.
Die Trommel scholl, das Kuhhorn klang,
Und laut aufjubelt
Triumphgesang.
La Illa Il Allah! aus voller Kehle
Jauchzten die Treiber der Kamele.
Doch durch das Osttor, am andern End
Von Thus, zog in demselben
Moment
Zur Stadt hinaus der Leichenzug,
Der den toten Firdusi zu Grabe

trug.
Nächtliche Fahrt
Es wogte das Meer, aus dem dunklen Gewölk
Der Halbmond lugte
scheu;
Und als wir stiegen in den Kahn,
Wir waren unsrer drei.
Es plätschert' im Wasser des Ruderschlags
Verdrossenes Einerlei;

Weißschäumende Wellen rauschten heran,
Bespritzten uns alle drei.
Sie stand im Kahn so blaß, so schlank,
Und unbeweglich dabei,
Als
wär sie ein welsches Marmorbild,
Dianens Konterfei.
Der Mond verbirgt sich ganz. Es pfeift
Der Nachtwind kalt vorbei;

Hoch über unsern Häuptern ertönt
Plötzlich ein gellender Schrei.
Die weiße, gespenstische Möwe wars,
Und ob dem bösen Schrei,

Der schauerlich klang wie Warnungsruf,
Erschraken wir alle drei.
Bin ich im Fieber? Ist das ein Spuk
Der nächtlichen Phantasei?
Äfft
mich ein Traum? Es träumet mir
Grausame Narretei.
Grausame Narretei! Mir träumt,
Daß ich ein Heiland sei,
Und daß
ich trüge das große Kreuz
Geduldig und getreu.
Die arme Schönheit ist schwer bedrängt,
Ich aber mache sie frei

Von Schmach und Sünde, von Qual und Not,
Von der Welt
Unfläterei.
Du arme Schönheit, schaudre nicht
Wohl ob der bittern Arznei;
Ich
selber kredenze dir den Tod,
Bricht auch mein Herz entzwei.
O Narretei, grausamer Traum,
Wahnsinn und Raserei!
Es gähnt die
Nacht, es kreischt das Meer,
O Gott! o steh mir bei!
O steh mir bei, barmherziger Gott!
Barmherziger Gott Schaddey!


Da schollerts hinab ins Meer - O Weh -
Schaddey! Schaddey!
Adonay! -
Die Sonne ging auf, wir fuhren ans Land,
Da blühte und glühte der
Mai!
Und als wir stiegen aus dem Kahn,
Da waren wir unsrer zwei.
Vitzliputzli
Präludium
Dieses ist Amerika!
Dieses ist die neue Welt!
Nicht die heutige, die
schon
Europäisieret abwelkt. -
Dieses ist die neue Welt!
Wie sie Christoval Kolumbus
Aus dem
Ozean hervorzog.
Glänzet noch in Flutenfrische,
Träufelt noch von Wasserperlen,
Die zerstieben, farbensprühend,

Wenn sie küßt das Licht der Sonne.
Wie gesund ist diese Welt!
Ist kein Kirchhof der Romantik,
Ist kein alter Scherbenberg
Von
verschimmelten Symbolen
Und versteinerten Perucken.
Aus gesundem Boden sprossen
Auch gesunde Bäume - keiner
Ist
blasiert und keiner hat
In dem Rückgratmark die Schwindsucht.
Auf den Baumesästen schaukeln
Große Vögel. Ihr Gefieder

Farbenschillernd. Mit den ernsthaft
Langen Schnäbeln und mit
Augen,
Brillenartig schwarz umrändert,
Schaun sie auf dich nieder,
schweigsam -
Bis sie plötzlich schrillend aufschrein
Und wie
Kaffeeschwestern schnattern.
Doch ich weiß nicht, was sie sagen,
Ob ich gleich der Vögel
Sprachen
Kundig bin wie Salomo,
Welcher tausend Weiber hatte

Und die Vögelsprachen kannte,
Die modernen nicht allein,
Sondern
auch die toten, alten,
Ausgestopften Dialekte.
Neuer Boden, neue Blumen!
Neue Blumen, neue Düfte!
Unerhörte,
wilde Düfte,
Die mir in die Nase dringen,
Neckend, prickelnd, leidenschaftlich -
Und mein grübelnder
Geruchsinn
Quält sich ab: Wo hab ich denn
Je dergleichen schon
gerochen?
Wars vielleicht auf Regentstreet,
In den sonnig gelben Armen
Jener
schlanken Javanesin,
Die beständig Blumen kaute?
Oder wars zu Rotterdam,
Neben des Erasmi Bildsäul,
In der weißen
Waffelbude
Mit geheimnisvollem Vorhang?
Während ich die neue Welt
Solcher Art verdutzt betrachte,
Schein
ich selbst ihr einzuflößen
Noch viel größre Scheu - Ein Affe,
Der erschreckt ins Buschwerk forthuscht,
Schlägt ein Kreuz bei
meinem Anblick,
Angstvoll rufend: »Ein Gespenst!
Ein Gespenst
der alten Welt!«
Affe! fürcht dich nicht, ich bin
Kein Gespenst, ich bin kein Spuk;

Leben kocht in meinen Adern,
Bin des Lebens treuster Sohn.
Doch durch jahrelangen Umgang
Mit den Toten, nahm ich an
Der
Verstorbenen Manieren
Und geheime Seltsamkeiten.
Meine schönsten Lebensjahre,
Die verbracht ich im Kyffhäuser,

Auch im Venusberg und andern
Katakomben der Romantik.
Fürcht dich nicht
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 31
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.