Romanzero | Page 7

Heinrich Heine
hohen Zelter
Schaut' herab des Königs Mutter,

Schaut' auf ihres Sohnes Jammer,
Und sie schalt ihn stolz und bitter.
»Boabdil el Chico«, sprach sie,
»Wie ein Weib beweinst du jetzo

Jene Stadt, die du nicht wußtest
Zu verteidgen wie ein Mann.«
Als des Königs liebste Kebsin
Solche harte Rede hörte,
Stürzte sie
aus ihrer Sänfte
Und umhalste den Gebieter.
»Boabdil el Chico,« sprach sie,
»Tröste dich, mein Heißgeliebter,

Aus dem Abgrund deines Elends
Blüht hervor ein schöner Lorbeer.
»Nicht allein der Triumphator,
Nicht allein der sieggekrönte

Günstling jener blinden Göttin,
Auch der blutge Sohn des Unglücks,
»Auch der heldenmütge Kämpfer,
Der dem ungeheuren Schicksal

Unterlag, wird ewig leben
In der Menschen Angedenken.«
»Berg des letzten Mohrenseufzers«
Heißt bis auf den heutgen Tag

Jene Höhe, wo der König
Sah zum letzten Mal Granada.
Lieblich hat die Zeit erfüllet
Seiner Liebsten Prophezeiung,
Und
des Mohrenkönigs Name
Ward verherrlicht und gefeiert.
Nimmer wird sein Ruhm verhallen,
Ehe nicht die letzte Saite

Schnarrend losspringt von der letzten
Andalusischen Gitarre.
Geoffroy Rudèl und Melisande von Tripoli
In dem Schlosse Blay erblickt man
Die Tapete an den Wänden,
So
die Gräfin Tripolis
Einst gestickt mit klugen Händen.
Ihre ganze Seele stickte
Sie hinein, und Liebesträne
Hat gefeit das

seidne Bildwerk,
Welches darstellt jene Szene:
Wie die Gräfin den Rudèl
Sterbend sah am Strande liegen,
Und das
Urbild ihrer Sehnsucht
Gleich erkannt' in seinen Zügen.
Auch Rudèl hat hier zum ersten
Und zum letzten Mal erblicket
In
der Wirklichkeit die Dame,
Die ihn oft im Traum entzücket.
Über ihn beugt sich die Gräfin,
Hält ihn liebevoll umschlungen,

Küßt den todesbleichen Mund,
Der so schön ihr Lob gesungen!
Ach! der Kuß des Willkomms wurde
Auch zugleich der Kuß des
Scheidens,
Und so leerten sie den Kelch
Höchster Lust und tiefsten
Leidens.
In dem Schlosse Blay allnächtlich
Gibts ein Rauschen, Knistern,
Beben,
Die Figuren der Tapete
Fangen plötzlich an zu leben.
Troubadour und Dame schütteln
Die verschlafnen Schattenglieder,

Treten aus der Wand und wandeln
Durch die Säle auf und nieder.
Trautes Flüstern, sanftes Tändeln,
Wehmutsüße Heimlichkeiten,

Und posthume Galantrie
Aus des Minnesanges Zeiten:
»Geoffroy! Mein totes Herz
Wird erwärmt von deiner Stimme,
In
den längst erloschnen Kohlen
Fühl ich wieder ein Geglimme!«
»Melisande! Glück und Blume!
Wenn ich dir ins Auge sehe,
Leb
ich auf - gestorben ist
Nur mein Erdenleid und -Wehe.«
»Geoffroy! Wir liebten uns
Einst im Traume, und jetzunder
Lieben
wir uns gar im Tode
Gott Amour tat dieses Wunder!«
»Melisande! Was ist Traum?
Was ist Tod? Nur eitel Töne.
In der
Liebe nur ist Wahrheit,
Und dich lieb ich, ewig Schöne.«

»Geoffroy! Wie traulich ist es
Hier im stillen Mondscheinsaale,

Möchte nicht mehr draußen wandeln
In des Tages Sonnenstrahle.«
»Melisande! teure Närrin,
Du bist selber Licht und Sonne,
Wo du
wandelst, blüht der Frühling,
Sprossen Lieb und Maienwonne!«
Also kosen, also wandeln
Jene zärtlichen Gespenster
Auf und ab,
derweil das Mondlicht
Lauschet durch die Bogenfenster.
Doch den holden Spuk vertreibend,
Kommt am End die Morgenröte -

Jene huschen scheu zurück
In die Wand, in die Tapete.
Der Dichter Firdusi
I
Goldne Menschen, Silbermenschen!
Spricht ein Lump von einem
Thoman,
Ist die Rede nur von Silber,
Ist gemeint ein Silberthoman.
Doch im Munde eines Fürsten,
Eines Schaches, ist ein Thoman

Gülden stets; ein Schach empfängt
Und er gibt nur goldne Thoman.
Also denken brave Leute,
Also dachte auch Firdusi,
Der Verfasser
des berühmten
Und vergötterten Schach Nameh.
Dieses große Heldenlied
Schrieb er auf Geheiß des Schaches,
Der
für jeden seiner Verse
Einen Thoman ihm versprochen.
Siebzehnmal die Rose blühte,
Siebzehnmal ist sie verwelket,
Und
die Nachtigall besang sie
Und verstummte siebzehnmal -
Unterdessen saß der Dichter
An dem Webstuhl des Gedankens,
Tag
und Nacht, und webte emsig
Seines Liedes Riesenteppich -
Riesenteppich, wo der Dichter
Wunderbar hineingewebt
Seiner
Heimat Fabelchronik,
Farsistans uralte Könge,

Lieblingshelden seines Volkes,
Rittertaten, Aventüren,

Zauberwesen und Dämonen,
Keck umrankt von Märchenblumen -
Alles blühend und lebendig,
Farbenglänzend, glühend, brennend,

Und wie himmlisch angestrahlt
Von dem heilgen Lichte Irans,
Von dem göttlich reinen Urlicht,
Dessen letzter Feuertempel,
Trotz
dem Koran und dem Mufti,
In des Dichters Herzen flammte.
Als vollendet war das Lied,
Überschickte seinem Gönner
Der Poet
das Manuskript,
Zweimalhunderttausend Verse.
In der Badestube war es,
In der Badestub zu Gasna,
Wo des
Schaches schwarze Boten
Den Firdusi angetroffen -
Jeder schleppte einen Geldsack,
Den er zu des Dichters Füßen

Knieend legte, als den hohen
Ehrensold für seine Dichtung.
Der Poet riß auf die Säcke
Hastig, um am lang entbehrten

Goldesanblick sich zu laben -
Da gewahrt er mit Bestürzung,
Daß der Inhalt dieser Säcke
Bleiches Silber, Silberthomans,

Zweimalhunderttausend etwa -
Und der Dichter lachte bitter.
Bitter lachend hat er jene
Summe abgeteilt in drei
Gleiche Teile,
und jedwedem
Von den beiden schwarzen Boten
Schenkte er als Botenlohn
Solch ein Drittel, und das dritte
Gab er
einem Badeknechte,
Der sein Bad besorgt, als Trinkgeld.
Seinen Wanderstab ergriff er
Jetzo und verließ die Hauptstadt;
Vor
dem Tor hat er den Staub
Abgefegt von seinen Schuhen.
II
»Hätt er menschlich ordinär
Nicht gehalten, was versprochen,
Hätt

er nur sein Wort gebrochen,
Zürnen wollt ich nimmermehr.
»Aber unverzeihlich ist,
Daß er mich getäuscht so schnöde
Durch
den Doppelsinn der Rede
Und des Schweigens größte List.
»Stattlich war er, würdevoll
Von Gestalt und von Gebärden,

Wen'ge glichen ihm auf Erden,
War ein König jeder Zoll.
»Wie die Sonn am Himmelsbogen,
Feuerblicks, sah er mich an,
Er,
der Wahrheit stolzer Mann -
Und er hat mich doch belogen.«
III
Schach Mahomet hat gut gespeist,
Und gut gelaunet ist sein Geist.
Im dämmernden Garten, auf purpurnem Pfühl,
Am Springbrunnen
sitzt er. Das plätschert so kühl!
Die Diener stehen mit Ehrfurchtsmienen;
Sein Liebling Ansari ist
unter ihnen.
Aus Marmorvasen quillt hervor
Ein üppig brennender Blumenflor.
Gleich Odalisken anmutiglich
Die schlanken Palmen fächern
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