Roemische Geschichte, Band 8 | Page 5

Theodor Mommsen
wir finden, dass dieses also war, so fragen wir die
Buecher, die uns geblieben sind, meistens umsonst, wie dieses also
geworden ist. Sie geben darauf sowenig eine Antwort, wie die
Ueberlieferung der frueheren Republik die gewaltige Erscheinung des
Rom erklaert, welches in Alexanders Spuren die Welt unterwarf und
zivilisierte. Ausfuellen laesst sich die eine Luecke sowenig wie die
andere. Aber es schien des Versuches wert, einmal abzusehen sowohl
von den Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen
und nur zu oft gefaelschten Farben wie auch von dem scheinhaft
chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender
Fragmente, und dafuer zu sammeln und zu ordnen, was fuer die
Darstellung des roemischen Provinzialregiments die Ueberlieferung
und die Denkmaeler bieten, der Muehe wert, durch diese oder durch
jene zufaellig erhaltene Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte
Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer Beziehung auf
die einzelnen Landesteile, mit den fuer jeder. derselben, durch die
Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen, durch
die Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist,

nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen
zusammenzufassen. Aber die Epoche Diocletians habe ich dabei nicht
hinausgehen wollen, weil das neue Regiment, welches damals
geschaffen wurde, hoechstens im zusammenfassenden Ausblick den
Schlussstein dieser Erzaehlung bilden kann; seine volle Wuerdigung
verlangt eine besondere Erzaehlung und einen anderen Weltrahmen, ein
bei schaerferem Verstaendnis des Einzelnen in dem grossen Sinn und
mit dem weiten Blick Gibbons durchgefuehrtes selbstaendiges
Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden,
da diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht
getrennt werden kann. Die sogenannte aeussere Geschichte der
Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der
Provinzialverwaltung; was wir Reichskriege nennen wuerden, sind
gegen das Ausland unter der Kaiserzeit nicht gefuehrt worden,
wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung der Grenzen
hervorgerufenen Kaempfe einige Male Verhaeltnisse annahmen, dass
sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen Maechten erscheinen, und
der Zusammensturz der roemischen Herrschaft in der Mitte des dritten
Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende
werden zu sollen schien, aus der an mehreren Stellen gleichzeitig
ungluecklich gefuehrten Grenzverteidigung sich entwickelte. Die
grosse Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie sie unter
Augustus teilweise ausgefuehrt ward, teilweise misslang, leitet die
Erzaehlung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der drei
hauptsaechlichsten Schauplaetze der Grenzverteidigung, des Rheins,
der Donau, des Euphrat, zusammengefasst worden. Im uebrigen ist die
Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes
Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterkoepfe hat sie nicht zu
bieten; es ist dem Kuenstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt,
das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch
geschrieben und mit Entsagung moechte es gelesen sein. 1. Kapitel Die
Nordgrenze Italiens Die roemische Republik hat ihr Gebiet
hauptsaechlich auf den Seewegen gegen Westen, Sueden und Osten
erweitert; nach derjenigen Richtung hin, in welcher Italien und die von
ihm abhaengigen beiden Halbinseln im Westen und im Osten mit dem
grossen Kontinent Europas zusammenhaengen, war dies wenig
geschehen. Das Hinterland Makedoniens gehorchte den Roemern nicht

und nicht einmal der noerdliche Abhang der Alpen; nur das Hinterland
der gallischen Suedkueste war durch Caesar zum Reiche gekommen.
Bei der Stellung, die das Reich im allgemeinen einnahm, durfte dies so
nicht bleiben; die Beseitigung des traegen und unsicheren Regiments
der Aristokratie musste vor allem an dieser Stelle sich geltend machen.
Nicht so geradezu wie die Eroberung Britanniens hatte Caesar die
Ausdehnung des roemischen Gebiets am Nordabhang der Alpen und
am rechten Ufer des Rheins den Erben seiner Machtstellung
aufgetragen; aber der Sache nach war die letztere Grenzerweiterung bei
weitem naeher gelegt und notwendiger als die Unterwerfung der
ueberseeischen Kelten, und man versteht es, dass Augustus diese
unterliess und jene aufnahm. Dieselbe zerfiel in drei grosse Abschnitte:
die Operationen an der Nordgrenze der griechisch-makedonischen
Halbinsel im Gebiet der mittleren und unteren Donau, in Illyricum; die
an der Nordgrenze Italiens selbst, im oberen Donaugebiet, in Raetien
und Noricum; endlich die am rechten Rheinufer, in Germanien.
Meistens selbstaendig gefuehrt, haengen die militaerisch-politischen
Vornahmen in diesen Gebieten doch innerlich zusammen, und wie sie
saemtlich aus der freien Initiative der roemischen Regierung
hervorgegangen sind, koennen sie auch in ihrem Gelingen wie in ihrem
teilweisen Misslingen nur in ihrer Gesamtheit militaerisch und politisch
verstanden werden. Sie werden darum auch mehr im oertlichen als wie
zeitlichen Zusammenhang dargelegt werden; das Gebaeude, von dem
sie doch nur Teile sind, wird besser in seiner inneren Geschlossenheit
als in der Zeitfolge der Bauten betrachtet. Das Vorspiel zu dieser
grossen Gesamtaktion machen die Einrichtungen, welche Caesar der
Sohn, so wie er in Italien und Sizilien freie Hand gewonnen hatte, an
den oberen Kuesten des Adriatischen Meeres und im angrenzenden
Binnenland vornahm. In den hundertundfuenfzig Jahren, die seit der
Gruendung Aquileias verflossen waren, hatte wohl der roemische
Kaufmann von dort aus sich des Verkehrs mehr und mehr bemaechtigt,
aber der Staat unmittelbar nur geringe Fortschritte gemacht. An den
Haupthaefen der dalmatinischen Kueste,
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