Roemische Geschichte, Band 5 | Page 5

Theodor Mommsen
allem durch die ungemeine Schwierigkeit, teils die Militaerchefs in den Provinzen in Unterwuerfigkeit gegen die hoechste buergerliche Obrigkeit zu erhalten, teils in der Hauptstadt mit den Massen des daselbst sich anhaeufenden italischen und ausseritalischen Gesindels und der in Rom grossenteils in faktischer Freiheit lebenden Sklaven fertig zu werden, ohne doch Truppen zur Verfuegung zu haben. Der Senat stand wie in einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung, und ernstliche Kaempfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten Widerstandsmittel waren ansehnlich und nachhaltig; und wenngleich die Majoritaet der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja ihr feindselig gesinnt war, so konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und wirre Masse einer Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen und hauptlos in hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr wohl noch auf lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur freilich musste sie auch sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre Festung gebaut hatte, zu deren Verteidigung heranbringen; fuer eine Besatzung, die sich nicht wehren will, zieht der groesste Schanzkuenstler vergebens seine Mauern und Graeben. Je mehr schliesslich alles ankam auf die Persoenlichkeit der leitenden Maenner auf beiden Seiten, desto uebler war es, dass es genau genommen auf beiden Seiten an Fuehrern fehlte. Die Politik dieser Zeit ward durchaus beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe nichts Neues; die Familien- und Klubgeschlossenheit ist untrennbar von der aristokratischen Ordnung des Staats und war seit Jahrhunderten in Rom uebermaechtig. Aber allmaechtig wurde dieselbe doch erst in dieser Epoche, wie denn ihr Einfluss auch erst jetzt (zuerst 690 64) durch gesetzliche Repressivmassregeln weniger gehemmt als konstatiert ward. Alle Vornehmen, die popular Gesinnten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, taten sich in Hetaerien zusammen; die Masse der Buergerschaft, soweit sie ueberhaupt an den politischen Vorgaengen regelmaessig sich beteiligte, bildete nach den Stimmbezirken gleichfalls geschlossene und fast militaerisch organisierte Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den "Bezirksverteilern" (divisores tribuum), ihre natuerlichen Hauptleute und Mittelsmaenner fanden. Feil war diesen politischen Klubs alles: die Stimme des Waehlers vor allem, aber auch die des Ratsmanns und des Richters, auch die Faeuste, die den Strassenkrawall machten, und die Rottenfuehrer, die ihn lenkten - nur im Tarif unterschieden sich die Assoziationen der Vornehmen und der Geringen. Die Hetaerie entschied die Wahlen, die Hetaerie beschloss die Anklagen, die Hetaerie leitete die Verteidigung; sie gewann den angesehenen Advokaten, sie akkordierte im Notfall wegen der Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den eintraeglichen Handel mit Richterstimmen im grossen betrieben. Die Hetaerie beherrschte durch ihre geschlossenen Banden die Strassen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat. All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und sozusagen oeffentlich; das Hetaerienwesen war besser geordnet und besorgt als irgendein Zweig der Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter zivilisierten Gaunern ueblich ist, von dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Einverstaendnis nicht geradezu gesprochen ward, so hatte doch niemand dessen ein Hehl, und angesehene Sachwalter scheuten sich nicht, ihr Verhaeltnis zu den Hetaerien ihrer Klienten oeffentlich und verstaendlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem oeffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don Quichotte. An die Stelle der Parteien und des Parteienkampfes traten die Klubs und deren Konkurrenz, an die Stelle des Regiments die Intrige. Ein mehr als zweideutiger Charakter, Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, spaeter als Ueberlaeufer zu Sulla zu Gnaden aufgenommen, spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit eine der einflussreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischentraeger und Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als staatsmaennischer Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied ueber die Besetzung der wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Maetresse Praecia. Eine solche Misere war eben nur moeglich, wo keiner der politisch taetigen Maenner sich ueber die Linie des Gewoehnlichen erhob; jedes ausserordentliche Talent haette diese Faktionenwirtschaft wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und militaerischen Kapazitaeten war der bitterste Mangel. Von dem aelteren Geschlecht hatten die Buergerkriege keinen einzigen angesehenen Mann uebriggelassen als den alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663 91),. der, frueher popular gesinnt, darauf Fuehrer der Kapitalistenpartei gegen den Senat und mit den Marianern eng verknuepft, endlich zeitig genug, um Dank und Lohn zu ernten, uebergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den Parteien durchgeschluepft war. Unter den Maennern der folgenden Generation waren die namhaftesten Haeupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul 674 80), Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul in Sullas Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei juengere Offiziere, die beiden Brueder Lucius und Marcus Lucullus, von denen jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla gefochten hatten; um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640-704 114-50), der nur als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus
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