Roemische Geschichte, Band 2 | Page 8

Theodor Mommsen
Zweck hatte, insbesondere fuer den Kriegsfall die
Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen und die
koenigliche Gewalt voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn
im Kriege vor allem musste die Gleichberechtigung der Konsuln
bedenklich erscheinen und nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern
vor allem die aelteste Benennung des Beamten selbst und seines
Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer eines
Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer die

ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.
Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen
waren, oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in
religioeser Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der
Name vorhanden sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die
Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der
Goetter mit Hilfe der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall
hielt man sich ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle
unumschraenkte Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der
Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung
der durch die Kollegialitaet und durch die besonderen
Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die Aufgabe,
die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten und tatsaechlich zu
beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern, deren Werk diese
Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf wie einfach
geloest. Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der
Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher
jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in
letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die
bisherige Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande gewordene
Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der "Menge", welche namhafte
und vermoegende Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass
diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war,
obwohl sie die gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden,
solange die Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht
eingriff in den Gang der Staatsmaschine und solange die
Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den Buergern
nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen und damit in der
Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde selbst zu
regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher
aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer
herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht
erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an
dem Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der
Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden koennen. Eine
Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der
umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst

saemtliche Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht
lebende Buerger auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft
aufgenommen wurden. Der Kurienversammlung der Altbuerger, die bis
dahin rechtlich und tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen
war, wurden ihre verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich
entzogen: nur in rein formellen oder in den die
Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem
Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher
dem Koenig zu leistenden Treugeloebnisses und des fuer die
Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen Dispenses,
sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz behalten, aber
in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluss mehr vollziehen
duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch in den
Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft das Recht
ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die
Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der
Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit
ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern die
Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings
auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen
sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es
ist bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein
Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also
die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem
urspruenglichen Wesen zahlreiche Mitglieder zaehlte, die keinem
Geschlecht angehoerten. Alle politischen Befugnisse der
Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung auf Provokation in
dem Kriminalverfahren, das ja ueberwiegend politischer Prozess war,
als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung
der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der
Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so dass die
Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte
empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung
gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer
ueberwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines
Angriffskrieges, zu einer solchen Entwicklung, dass die Kurien durch
die Zenturienversammlung voellig und auf immer verdunkelt wurden

und man sich gewoehnte, das souveraene Volk in der letzteren zu
erblicken. Debatte fand auch in dieser bloss dann statt, wenn der
vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere sprechen hiess,
nur dass bei der Provokation natuerlich beide Teile gehoert werden
mussten; die einfache Majoritaet der Zenturien entschied. Da in der
Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich voellig
gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in die
Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde,
so ist es begreiflich, dass die politischen Abstimmungen
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