Roemische Geschichte, Band 2 | Page 9

Theodor Mommsen
den Kurien
entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte das Schwergewicht
zwar nicht in die Haende der Adligen, aber doch in die der
Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft
tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen. Nicht in
gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform
der Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb
nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine
wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen
und die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als
verfassungsmaessige oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu
verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der
Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der
Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestaetigung
oder Verwerfung des patrizischen Senats unterlag - nur bei der
Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir wissen, niemals
eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des Schuldigen
handelte, und wenn diese von der souveraenen Volksversammlung
erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht fueglich
die Rede sein konnte. Indes wenngleich durch die Abschaffung des
Koenigtums die verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats
eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der
Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums,
fuer diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen
und die eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats
auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen
eine vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft
herbeigefuehrt hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und
nicht vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es

wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig
angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der
Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen,
dass fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres)
eine Anzahl nicht patrizischer "Eingeschriebener" (conscripti)
beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner
Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben
Mitglieder des Ritterstandes, hiessen nicht "Vaeter", sondern waren
nun auch "Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen
der senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht
bloss unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat
zustehenden obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie
mussten auch da, wo es sich bloss um einen Ratschlag (consilium)
handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier gerichteten
Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten
zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, "mit den Fuessen
zu stimmen" (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel
sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung
ihren Weg nicht bloss auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und
der erste und schwerste Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier
getan. Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden
Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern
machte sich bald, namentlich bei der Umfrage, ein Rangunterschied
dahin geltend, dass diejenigen, welche zu dem hoechsten Gemeindeamt
demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits verwaltet hatten,
vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der Abstimmung
gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns
des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz.
Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig
wie der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die
Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die
bloss Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher
durch die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig
vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch
einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber,
bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war,
diese Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die

Beziehung des Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in
Abnahme kam. Von einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in
der Weise, dass sie nicht ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in
den Senat haetten aufnehmen duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte
einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel
angehoerten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul
seiner ganzen Stellung gemaess bei der Bestellung der Senatoren
tatsaechlich weit weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung
und Observanz gebunden gewesen als der Koenig. Namentlich die
Regel, dass die Bekleidung des Konsulats notwendig den Eintritt in den
Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in dieser Zeit wohl noch
vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht Mitglied
desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich
festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu sein,
die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu
besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig
jedes vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergaenzen;
worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung der mit der
Auswahl betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl der
Senatoren blieb wie sie war,
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