Roemische Geschichte, Band 2 | Page 7

Theodor Mommsen
handeln konnten. Wo dagegen solche
Vorschriften nicht bestanden, musste der Gemeindevorstand in der
Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der
Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden vertreten
lassen kann. Diese zwiefache Fesselung des konsularischen
Mandierungsrechts bestand fuer das staedtische Regiment, zunaechst
fuer die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr
behielt der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder einzelner
ihm obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der
buergerlichen und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die
Ursache geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen
Gemeinderegiments durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro
magistratu) moeglich ist und rein staedtische Beamte nie durch
Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen Stellvertreter aber (pro consule,
pro praetore, pro quaestore) von aller Taetigkeit innerhalb der
eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden. Das Recht, den
Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt, sondern nur der
Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten
gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt hatte, trat
nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige Kontinuitaet
des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment
ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich
eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der Konsul
verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die
Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu

ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende
Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der
ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber;
doch bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied
zwischen jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht.
Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand,
sondern konnte immer noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts,
zum Beispiel einzelne Kandidaten zurueckweisen und die auf sie
fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf
eine von ihm entworfene Kandidatenliste beschraenken; und was noch
wichtiger war, wenn das Konsulkollegium durch den gleich zu
erwaehnenden Diktator zu ergaenzen war, wurde bei dieser Ergaenzung
die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul bestellte in dem Fall
mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der Zwischenkoenig den
Koenig bestellt hatte. Die Priesterernennung, die den Koenigen
zugestanden hatte, ging nicht ueber auf die Konsuln, sondern es trat
dafuer bei den Maennerkollegien die Selbstergaenzung, bei den
Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung durch das
Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausuebung der gleichsam
hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde ueber die Priesterinnen
der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders als von einem einzelnen
vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu koennen, setzte das
Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen Vorstand, den
Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt von der
buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten "Opferkoenig"
weder die buergerliche noch die sakrale Macht des Koenigtums,
sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen
Charakter des roemischen Priestertums entschieden heraustretende,
halb magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der
bezeichnendsten und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf
Beschraenkung der Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen
Interesse hinzielenden Staatsumwaelzung. Dass auch im aeusseren
Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter dem mit Ehrfurcht und
Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und
die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil
genommen wurde, ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass der
Konsul statt des koeniglichen Purpurkleides nur durch den Purpursaum

seines Obergewandes von dem gewoehnlichen Buerger sich
unterschied, und dass, waehrend der Koenig oeffentlich vielleicht
regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der allgemeinen Ordnung
sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb der Stadt
zu Fuss zu gehen gehalten war. Indes, diese Beschraenkungen der
Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung gegen den
ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise trat neben
und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewaehlten
Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi),
gewoehnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator
uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss, sondern sie ging lediglich aus
dem freien Entschluss eines der zeitigen Konsuln hervor, den weder der
Kollege noch eine andere Behoerde hieran hindern konnte; gegen ihn
galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, wenn er freiwillig ihr
wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten von Rechts
wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des
Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse
derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren
gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als
absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche
Frist gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche Einrichtung war ferner,
dass der "Heermeister" gehalten war, sich sofort einen "Reitermeister"
(magister equitum) zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben
ihm, etwa wie der Quaestor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm
vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit
zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich als dem
Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde
zu steigen. Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl
aufzufassen als eine mit dem Konsulat zugleich entstandene
Einrichtung, die den
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 112
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.