Roemische Geschichte, Band 1 | Page 8

Theodor Mommsen
Kamen aber die frueheren Ansiedler ueber den
Apennin, so kann, wie der Geolog aus der Schichtung der Gebirge ihre
Entstehung erschliesst, auch der Geschichtsforscher die Vermutung
wagen, dass die am weitesten nach Sueden geschobenen Staemme die
aeltesten Bewohner Italiens sein werden; und eben an dessen
aeusserstem suedoestlichen Saume begegnen wir der iapygischen
Nation. ------------------------------------------------------- ^1 Ihren Klang
moegen einige Grabschriften vergegenwaertigen, wie theotoras
artahiaihi berenarrihino und dazihonas platorrihi bollihi. ^2 Man hat,
freilich auf ueberhaupt wenig und am wenigsten fuer eine Tatsache von
solcher Bedeutung zulaengliche sprachliche Vergleichungspunkte hin,
eine Verwandtschaft zwischen der iapygischen Sprache und der
heutigen albanesischen angenommen. Sollte diese
Stammverwandtschaft sich bestaetigen und sollten anderseits die
Albanesen - ein ebenfalls indogermanischer und dem hellenischen und
italischen gleichstehender Stamm - wirklich ein Rest jener
hellenobarbarischen Nationalitaet sein, deren Spuren in ganz

Griechenland und namentlich in den noerdlichen Landschaften
hervortreten, so wuerde diese vorhellenische Nationalitaet damit als
auch voritalisch nachgewiesen sein; Einwanderung der Iapyger in
Italien ueber das Adriatische Meer hin wuerde daraus zunaechst noch
nicht folgen. ----------------------------------------------------------------- Die
Mitte der Halbinsel ist, soweit unsere zuverlaessige Ueberlieferung
zurueckreicht, bewohnt von zwei Voelkern oder vielmehr zwei
Staemmen desselben Volkes, dessen Stellung in dem indogermanischen
Volksstamm sich mit groesserer Sicherheit bestimmen laesst, als dies
bei der iapygischen Nation der Fall war. Wir duerfen dies Volk billig
das italische heissen, da auf ihm die geschichtliche Bedeutung der
Halbinsel beruht; es teilt sich in die beiden Staemme der Latiner
einerseits, anderseits der Umbrer mit deren suedlichen Auslaeufern,
den Marsern und Samniten und den schon in geschichtlicher Zeit von
den Samniten ausgesandten Voelkerschaften. Die sprachliche Analyse
der diesen Staemmen angehoerenden Idiome hat gezeigt, dass sie
zusammen ein Glied sind in der indogermanischen Sprachenkette, und
dass die Epoche, in der sie eine Einheit bildeten, eine
verhaeltnismaessig spaete ist. Im Lautsystem erscheint bei ihnen der
eigentuemliche Spirant f, worin sie uebereinstimmen mit den Etruskern,
aber sich scharf scheiden von allen hellenischen und
hellenobarbarischen Staemmen, sowie vom Sanskrit selbst. Die
Aspiraten dagegen, die von den Griechen durchaus und die haerteren
davon auch von den Etruskern festgehalten werden, sind den Italikern
urspruenglich fremd und werden bei ihnen vertreten durch eines ihrer
Elemente, sei es durch die Media, sei es durch den Hauch allein f oder
h. Die feineren Hauchlaute s, w, j, die die Griechen soweit moeglich
beseitigen, sind in den italischen Sprachen wenig beschaedigt erhalten,
ja hie und da noch weiter entwickelt worden. Das Zurueckziehen des
Akzents und die dadurch hervorgerufene Zerstoerung der Endungen
haben die Italiker zwar mit einigen griechischen Staemmen und mit den
Etruskern gemein, jedoch in staerkerem Grad als jene, in geringerem
als diese angewandt; die unmaessige Zerruettung der Endungen im
Umbrischen ist sicher nicht in dem urspruenglichen Sprachgeist
begruendet, sondern spaetere Verderbnis, welche sich in derselben
Richtung wenngleich schwaecher auch in Rom geltend gemacht hat.
Kurze Vokale fallen in den italischen Sprachen deshalb im Auslaut

regelmaessig, lange haeufig ab; die schliessenden Konsonanten sind
dagegen im Lateinischen und mehr noch im Samnitischen mit
Zaehigkeit festgehalten worden, waehrend das Umbrische auch diese
fallen laesst. Damit haengt es zusammen, dass die Medialbildung in
den italischen Sprachen nur geringe Spuren zurueckgelassen hat und
dafuer ein eigentuemliches, durch Anfuegung von r gebildetes Passiv
an die Stelle tritt; ferner dass der groesste Teil der Tempora durch
Zusammensetzungen mit den Wurzeln es und fu gebildet wird,
waehrend den Griechen neben dem Augment die reichere Ablautung
den Gebrauch der Hilfszeitwoerter grossenteils erspart. Waehrend die
italischen Sprachen wie der aeolische Dialekt auf den Dual verzichteten,
haben sie den Ablativ, der den Griechen verlorenging, durchgaengig,
grossenteils auch den Lokativ erhalten. Die strenge Logik der Italiker
scheint Anstoss daran genommen zu haben, den Begriff der Mehrheit in
den der Zweiheit und der Vielheit zu spalten, waehrend man die in den
Beugungen sich ausdrueckenden Wortbeziehungen mit grosser
Schaerfe festhielt. Eigentuemlich italisch und selbst dem Sanskrit
fremd ist die in den Gerundien und Supinen vollstaendiger als sonst
irgendwo durchgefuehrte Substantivierung der Zeitwoerter. Diese aus
einer reichen Fuelle analoger Erscheinungen ausgewaehlten Beispiele
genuegen, um die Individualitaet des italischen Sprachstammes jedem
anderen indogermanischen gegenueber darzutun und zeigen denselben
zugleich sprachlich wie geographisch als naechsten Stammverwandten
der Griechen; der Grieche und der Italiker sind Brueder, der Kelte, der
Deutsche und der Slave ihnen Vettern. Die wesentliche Einheit aller
italischen wie aller griechischen Dialekte und Staemme unter sich muss
frueh und klar den beiden grossen Nationen selbst aufgegangen sein;
denn wir finden in der roemischen Sprache ein uraltes Wort
raetselhaften Ursprungs, Graius oder Graicus, das jeden Hellenen
bezeichnet, und ebenso bei den Griechen die analoge Benennung
Opikos, die von allen, den Griechen in aelterer Zeit bekannten
latinischen und samnitischen Stmmen, nicht aber von Iapygern oder
Etruskern gebraucht wird. Innerhalb des italischen Sprachstammes aber
tritt das Lateinische wieder in einen bestimmten Gegensatz zu den
umbrisch-samnitischen Dialekten. Allerdings sind von diesen nur zwei,
der umbrische und der samnitische oder oskische Dialekt,
einigermassen, und auch
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