Reineke Fuchs | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
ein stolzer Geselle,
Wenn er allein war. Es kamen auch Steine gewaltig geflogen, Die den
verzweifelten Braunen von allen Seiten bedrängten.
Nun sprang
Rüsteviels Bruder hervor und schlug mit dem langen, Dicken Knüttel
den Bären aufs Haupt, daß Hören und Sehen
Ihm verging, doch fuhr
er empor vom mächtigen Schlage.
Rasend fuhr er unter die Weiber,
die untereinander
Taumelten, fielen und schrien, und einige stürzten
ins Wasser, Und das Wasser war tief. Da rief der Pater und sagte:

Sehet, da unten schwimmt Frau Jutte, die Köchin, im Pelze,
Und der
Rocken ist hier! O helft, ihr Männer! Ich gebe
Bier zwei Tonnen zum
Lohn und großen Ablaß und Gnade.
Alle ließen für tot den Bären
liegen und eilten
Nach den Weibern ans Wasser, man zog aufs
Trockne die fünfe. Da indessen die Männer am Ufer beschäftiget waren,

Kroch der Bär ins Wasser vor großem Elend und brummte
Vor
entsetzlichem Weh. Er wollte sich lieber ersäufen,
Als die Schläge so
schändlich erdulden. Er hatte zu schwimmen Nie versucht und hoffte
sogleich das Leben zu enden.
Wider Vermuten fühlt' er sich
schwimmen, und glücklich getragen Ward er vom Wasser hinab, es
sahen ihn alle die Bauern,
Riefen: Das wird uns gewiß zur ewigen
Schande gereichen!
Und sie waren verdrießlich und schalten über die
Weiber:
Besser blieben sie doch zu Hause! da seht nun, er
schwimmet Seiner Wege. Sie traten herzu, den Block zu besehen,

Und sie fanden darin noch Haut und Haare vom Kopfe
Und von den
Füßen und lachten darob und riefen: Du kommst uns Sicher wieder,
behalten wir doch die Ohren zum Pfande!
So verhöhnten sie ihn noch
über den Schaden, doch war er
Froh, daß er nur dem übel entging. Er
fluchte den Bauern,
Die ihn geschlagen, und klagte den Schmerz der
Ohren und Füße, Fluchte Reineken, der ihn verriet. Mit solchen
Gebeten
Schwamm er weiter, es trieb ihn der Strom, der reißend und
groß war, Binnen weniger Zeit fast eine Meile hinunter;
Und da kroch
er ans Land am selbigen Ufer und keichte.
Kein bedrängteres Tier hat
je die Sonne gesehen!
Und er dachte den Morgen nicht zu erleben, er
glaubte
Plötzlich zu sterben und rief. O Reineke, falscher Verräter!

Loses Geschöpf!. Er dachte dabei der schlagenden Bauern,
Und er
dachte des Baums und fluchte Reinekens Listen.
Aber Reineke Fuchs, nachdem er mit gutem Bedachte
Seinen Oheim
zu Markte geführt, ihm Honig zu schaffen,
Lief er nach Hühnern, er
wußte den Ort, und schnappte sich eines, Lief und schleppte die Beute
behend am Flusse hinunter.
Dann verzehrt' er sie gleich und eilte
nach andern Geschäften Immer am Flusse dahin und trank des Wassers
und dachte:
O wie bin ich so froh, daß ich den tölpischen Bären
So
zu Hofe gebracht! Ich wette, Rüsteviel hat ihm
Wohl das Beil zu
kosten gegeben. Es zeigte der Bär sich
Stets mir feindlich gesinnt, ich
hab es ihm wieder vergolten. Oheim hab ich ihn immer genannt, nun ist
er am Baume
Tot geblieben; des will ich mich freun, solang ich nur
lebe. Klagen und schaden wird er nicht mehr!--Und wie er so wandelt,
Schaut er am Ufer hinab und sieht den Bären sich wälzen.
Das
verdroß ihm im Herzen, daß Braun lebendig entkommen.
Rüsteviel,
rief er, du lässiger Wicht! du grober Geselle!
Solche Speise
verschmähst du? die fett und guten Geschmacks ist, Die manch
ehrlicher Mann sich wünscht, und die so gemächlich Dir zu Handen
gekommen. Doch hat für deine Bewirtung
Dir der redliche Braun ein
Pfand gelassen! So dacht er,
Als er den Braunen betrübt, ermattet und
blutig erblickte.
Endlich rief er ihn an: Herr Oheim, find ich Euch
wieder?
Habt Ihr etwas vergessen bei Rüsteviel? sagt mir, ich lass
ihm Wissen, wo Ihr geblieben. Doch soll ich sagen, ich glaube,

Vieles Honig habt Ihr gewiß dem Manne gestohlen,
Oder habt Ihr ihn
redlich bezahlt? wie ist es geschehen?
Ei! wie seid Ihr gemalt? das ist
ein schmähliches Wesen!
War der Honig nicht guten Geschmacks;
Zu selbigem Preise
Steht noch manches zu Kauf! Doch, Oheim, saget
mir eilig,
Welchem Orden habt Ihr Euch wohl so kürzlich gewidmet,

Daß Ihr ein rotes Barett auf Eurem Haupte zu tragen
Anfangt? Seid
Ihr ein Abt? Es hat der Bader gewißlich,
Der die Platte Euch schor,
nach Euren Ohren geschnappet.
Ihr verloret den Schopf, wie ich sehe,
das Fell von den Wangen Und die Handschuh dabei. Wo habt Ihr sie
hängen gelassen?
Und so mußte der Braune die vielen spöttischen

Worte
Hintereinander vernehmen und konnte vor Schmerzen nicht
reden, Sich nicht raten noch helfen. Und um nicht weiter zu hören,
Kroch er ins Wasser zurück und trieb mit dem reißenden Strome Nieder
und landete drauf am flachen Ufer. Da lag er,
Krank und elend, und
jammerte laut und sprach zu sich selber: Schlüge nur einer mich tot!
Ich kann nicht gehen und sollte Nach des Königes Hof die Reise
vollenden, und bleibe
So geschändet zurück von Reinekens bösem
Verrate.
Bring ich mein Leben davon, gewiß, dich soll es gereuen!

Doch er raffte sich auf und schleppte mit gräßlichen Schmerzen Durch
vier Tage sich fort, und endlich kam er zu Hofe.
Als der König den Bären in seinem Elend erblickte,
Rief er: Gnädiger
Gott! Erkenn ich Braunen?
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