Reineke Fuchs | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
er solle sich stellen am Hofe des Königs An dem Tage der
Herrn, wenn sie zunächst sich versammeln;
Braun, den Bären,
ernannte man aber zum Boten. Der König
Sprach zu Braun, dem
Bären: Ich sag es, Euer Gebieter,
Daß Ihr mit Fleiß die Botschaft
verrichtet! Doch rat ich zur Vorsicht: Denn es ist Reineke falsch und
boshaft, allerlei Listen
Wird er gebrauchen, er wird Euch
schmeicheln, er wird Euch belügen, Hintergehen, wie er nur kann.
Mitnichten, versetzte
Zuversichtlich der Bär: bleibt ruhig! Sollt er
sich irgend
Nur vermessen und mir zum Hohne das mindeste wagen,

Seht, ich schwör es bei Gott! der möge mich strafen, wofern ich Ihm
nicht grimmig vergölte, daß er zu bleiben nicht wüßte.
Zweiter Gesang
Also wandelte Braun auf seinem Weg zum Gebirge
Stolzen Mutes
dahin, durch eine Wüste, die groß war,
Lang und sandig und breit;
und als er sie endlich durchzogen, Kam er gegen die Berge, wo
Reineke pflegte zu jagen;
Selbst noch Tages zuvor hatt er sich dorten
erlustigt.
Aber der Bär ging weiter nach Malepartus; da hatte

Reineke schöne Gebäude. Von allen Schlössern und Burgen,
Deren
ihm viele gehörten, war Malepartus die beste.
Reineke wohnte
daselbst, sobald er übels besorgte.
Braun erreichte das Schloß und
fand die gewöhnliche Pforte
Fest verschlossen. Da trat er davor und
besann sich ein wenig; Endlich rief er und sprach: Herr Oheim, seid Ihr
zu Hause?
Braun, der Bär, ist gekommen, des Königs gerichtlicher
Bote. Denn es hat der König geschworen, Ihr sollet bei Hofe
Vor
Gericht Euch stellen, ich soll Euch holen, damit Ihr
Recht zu nehmen

und Recht zu geben keinem verweigert,
Oder es soll Euch das Leben
kosten; denn bleibt Ihr dahinten, Ist mit Galgen und Rad Euch gedroht.
Drum wählet das Beste, Kommt und folget mir nach, sonst möcht es
Euch übel bekommen.
Reineke hörte genau vom Anfang zum Ende die Rede,
Lag und
lauerte still und dachte: Wenn es gelänge,
Daß ich dem plumpen
Kompan die stolzen Worte bezahlte?
Laßt uns die Sache bedenken.
Er ging in die Tiefe der Wohnung, In die Winkel des Schlosses, denn
künstlich war es gebauet: Löcher fanden sich hier und Höhlen mit
vielerlei Gängen,
Eng und lang, und mancherlei Türen zum öffnen
und Schließen, Wie es Zeit war und Not. Erfuhr er, daß man ihn suchte

Wegen schelmischer Tat, da fand er die beste Beschirmung.
Auch
aus Einfalt hatten sich oft in diesen Mäandern
Arme Tiere gefangen,
willkommene Beute dem Räuber.
Reineke hatte die Worte gehört,
doch fürchtet' er klüglich, Andre möchten noch neben dem Boten im
Hinterhalt liegen,
Als er sich aber versichert, der Bär sei einzeln
gekommen,
Ging er listig hinaus und sagte: Wertester Oheim,
Seid
willkommen! Verzeiht mir! ich habe Vesper gelesen,
Darum ließ ich
Euch warten. Ich dank Euch, daß Ihr gekommen, Denn es nutzt mir
gewiß bei Hofe, so darf ich es hoffen.
Seid zu jeglicher Stunde, mein
Oheim, willkommen! Indessen
Bleibt der Tadel für den, der Euch die
Reise befohlen,
Denn sie ist weit und beschwerlich. O Himmel! wie
Ihr erhitzt seid! Eure Haare sind naß und Euer Odem beklommen.

Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden,
Als den
edelsten Mann, den er am meisten erhöhet?
Aber so sollt es wohl sein
zu meinem Vorteil; ich bitte,
Helft mir am Hofe des Königs, allwo
man mich übel verleumdet. Morgen, setzt ich mir vor, trotz meiner
mißlichen Lage,
Frei nach Hofe zu gehen, und so gedenk ich noch
immer.
Nur für heute bin ich zu schwer, die Reise zu machen.

Leider hab ich zu viel von einer Speise gegessen,
Die mir übel
bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe.
Braun versetzte
darauf. Was war es, Oheim? Der andre
Sagte dagegen: Was könnt es
Euch helfen, und wenn ichs erzählte! Kümmerlich frist ich mein Leben;

ich leid es aber geduldig, Ist ein armer Mann doch kein Graf! und
findet zuweilen
Sich für uns und die Unsern nichts Besseres, müssen
wir freilich Honigscheiben verzehren, die sind wohl immer zu haben.

Doch ich esse sie nur aus Not; nun bin ich geschwollen.
Wider
Willen schluckt ich das Zeug, wie sollt es gedeihen?
Kann ich es
immer vermeiden, so bleibt mirs ferne vom Gaumen.
Ei! was hab ich gehört! versetzte der Braune, Herr Oheim!
Ei!
verschmähet Ihr so den Honig, den mancher begehret?
Honig, muß
ich Euch sagen, geht über alle Gerichte,
Wenigstens mir; o schafft
mir davon, es soll Euch nicht reuen! Dienen werd ich Euch wieder.--Ihr
spottet, sagte der andre. Nein, wahrhaftig! verschwor sich der Bär, es
ist ernstlich gesprochen. Ist dem also, versetzte der Rote: da kann ich
Euch dienen,
Denn der Bauer Rüsteviel wohnt am Fuße des Berges.

Honig hat er! Gewiß, mit allem Eurem Geschlechte
Saht Ihr niemal
so viel beisammen. Da lüstet' es Braunen
Übermäßig nach dieser
geliebten Speise. O führt mich,
Rief er, eilig dahin! Herr Oheim, ich
will es gedenken,
Schafft mir Honig, und wenn ich auch nicht
gesättigt werde. Gehen wir, sagte der Fuchs: es soll an Honig nicht
fehlen.
Heute bin ich zwar schlecht zu Fuße; doch soll mir die Liebe,
Die ich Euch lange gewidmet, die sauern Tritte versüßen.
Denn ich
kenne niemand von allen meinen Verwandten,
Den ich verehrte, wie
Euch! Doch kommt! Ihr
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