Reineke Fuchs | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
sein Recht aus und macht sie
zuschanden.
Als nun Grimbart geendigt, erschien zu großem Erstaunen
Henning,
der Hahn, mit seinem Geschlecht. Auf trauriger Bahre, Ohne Hals und
Kopf, ward eine Henne getragen,
Kratzefuß war es, die beste der
eierlegenden Hennen.
Ach, es floß ihr Blut, und Reineke hatt es
vergossen!
Jetzo sollt es der König erfahren. Als Henning, der wackre,
Vor dem König erschien, mit höchstbetrübter Gebärde,
Kamen mit
ihm zwei Hähne, die gleichfalls trauerten. Kreyant Hieß der eine, kein
besserer Hahn war irgend zu finden
Zwischen Holland und

Frankreich; der andere durft ihm zur Seite Stehen, Kantart genannt, ein
stracker, kühner Geselle;
Beide trugen ein brennendes Licht; sie
waren die Brüder
Der ermordeten Frau. Sie riefen über den Mörder

Ach und Weh! Es trugen die Bahr zwei jüngere Hähne,
Und man
konnte von fern die Jammerklage vernehmen.
Henning sprach: Wir
klagen den unersetzlichen Schaden,
Gnädigster Herr und König!
Erbarmt Euch, wie ich verletzt bin, Meine Kinder und ich. Hier seht Ihr
Reinekens Werke!
Als der Winter vorbei, und Laub und Blumen und
Blüten
Uns zur Fröhlichkeit riefen, erfreut ich mich meines
Geschlechtes, Das so munter mit mir die schönen Tage verlebte!

Zehen junge Söhne, mit vierzehn Töchtern, sie waren
Voller Lust zu
leben; mein Weib, die treffliche Henne,
Hatte sie alle zusammen in
Einem Sommer erzogen.
Alle waren so stark und wohl zufrieden, sie
fanden
Ihre tägliche Nahrung an wohlgesicherter Stätte.
Reichen
Mönchen gehörte der Hof, uns schirmte die Mauer,
Und sechs große
Hunde, die wackern Genossen des Hauses,
Liebten meine Kinder und
wachten über ihr Leben;
Reineken aber, den Dieb, verdroß es, daß
wir in Frieden
Glückliche Tage verlebten und seine Ränke vermieden.

Immer schlich er bei Nacht um die Mauer und lauschte beim Tore,
Aber die Hunde bemerktens; da mocht er laufen! sie faßten
Wacker
ihn endlich einmal und ruckten das Fell ihm zusammen; Doch er rettete
sich und ließ uns ein Weilchen in Ruhe.
Aber nun höret mich an! es
währte nicht lange, so kam er
Als ein Klausner und brachte mir Brief
und Siegel. Ich kannt es: Euer Siegel sah ich am Briefe; da fand ich
geschrieben:
Daß Ihr festen Frieden so Tieren als Vögeln verkündigt.

Und er zeigte mir an: er sei ein Klausner geworden,
Habe strenge
Gelübde getan, die Sünden zu büßen,
Deren Schuld er leider bekenne.
Da habe nun keiner
Mehr vor ihm sich zu fürchten, er habe heilig
gelobet,
Nimmermehr Fleisch zu genießen. Er ließ mich die Kutte
beschauen, Zeigte sein Skapulier. Daneben wies er ein Zeugnis,
Das
ihm der Prior gestellt, und, um mich sicher zu machen,
Unter der
Kutte ein härenes Kleid. Dann ging er und sagte:
Gott dem Herren
seid mir befohlen! ich habe noch vieles
Heute zu tun! ich habe die

Sext und die None zu lesen
Und die Vesper dazu. Er las im Gehen
und dachte
Vieles Böse sich aus, er sann auf unser Verderben.
Ich
mit erheitertem Herzen erzählte geschwinde den Kindern
Eures
Briefes fröhliche Botschaft, es freuten sich alle.
Da nun Reineke
Klausner geworden, so hatten wir weiter
Keine Sorge, noch Furcht.
Ich ging mit ihnen zusammen
Vor die Mauer hinaus, wir freuten uns
alle der Freiheit.
Aber leider bekam es uns übel. Er lag im Gebüsche

Hinterlistig; da sprang er hervor und verrannt uns die Pforte; Meiner
Söhne schönsten ergriff er und schleppt' ihn von dannen, Und nun war
kein Rat, nachdem er sie einmal gekostet;
Immer versucht' er es
wieder, und weder Jäger noch Hunde
Konnten vor seinen Ränken bei
Tag und Nacht uns bewahren.
So entriß er mir nun fast alle Kinder;
von zwanzig
Bin ich auf fünfe gebracht, die andern raubt' er mir alle.

O, erbarmt Euch des bittern Schmerzes! er tötete gestern
Meine
Tochter, es haben die Hunde den Leichnam gerettet.
Seht, hier liegt
sie! Er hat es getan, o! nehmt es zu Herzen!
Und der König begann: Kommt näher, Grimbart, und sehet,
Also
fastet der Klausner, und so beweist er die Buße!
Leb ich noch aber
ein Jahr, so soll es ihn wahrlich gereuen! Doch was helfen die Worte!
Vernehmet, trauriger Henning:
Eurer Tochter ermangl es an nichts,
was irgend den Toten
Nur zu Rechte geschieht. Ich lass ihr Vigilie
singen,
Sie mit großer Ehre zur Erde bestatten; dann wollen
Wir mit
diesen Herren des Mordes Strafe bedenken.
Da gebot der König, man solle Vigilie singen.
Domino placebo
begann die Gemeine, sie sangen
Alle Verse davon. Ich könnte ferner
erzählen,
Wer die Lektion gesungen und wer die Responsen;
Aber
es währte zu lang, ich lass es lieber bewenden.
In ein Grab ward die
Leiche gelegt und drüber ein schöner
Marmorstein, poliert wie ein
Glas, gehauen im Viereck,
Groß und dick, und oben darauf war
deutlich zu lesen:
»Kratzefuß, Tochter Hennings des Hahns, die beste
der Hennen, Legte viel Eier ins Nest und wußte klüglich zu scharren.

Ach, hier liegt sie! durch Reinekens Mord den Ihren genommen. Alle

Welt soll erfahren, wie bös und falsch er gehandelt,
Und die Tote
beklagen.« So lautete, was man geschrieben.
Und es ließ der König darauf die Klügsten berufen,
Rat mit ihnen zu
halten, wie er den Frevel bestrafte,
Der so klärlich vor ihn und seine
Herren gebracht war.
Und sie rieten zuletzt: man habe dem listigen
Frevler
Einen Boten zu senden, daß er um Liebes und Leides
Nicht
sich entzöge,
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