Reineke Fuchs | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
falsch auch dieser bekannt war. Alt und
wahr, Herr Isegrim! sagt' er, beweist sich das Sprichwort: Feindes
Mund frommt selten. So hat auch wahrlich mein Oheim Eurer Worte
sich nicht zu getrösten. Doch ist es ein leichtes. Wär er hier am Hofe so
gut als Ihr, und erfreut' er
Sich des Königes Gnade, so möcht es Euch
sicher gereuen,
Daß Ihr so hämisch gesprochen und alte Geschichten
erneuert. Aber was Ihr übels an Reineken selber verübet,
Übergeht
Ihr; und doch, es wissen es manche der Herren,
Wie Ihr zusammen
ein Bündnis geschlossen und beide versprochen, Als zwei gleiche
Gesellen zu leben. Das muß ich erzählen;
Denn im Winter einmal
erduldet' er große Gefahren
Euretwegen. Ein Fuhrmann, er hatte
Fische geladen,
Fuhr die Straße, Ihr spürtet ihn aus und hättet um
alles
Gern von der Ware gegessen; doch fehlt' es Euch leider am
Gelde. Da beredetet Ihr den Oheim, er legte sich listig
Grade für tot
in den Weg. Es war, beim Himmel, ein kühnes
Abenteuer! Doch
merket, was ihm für Fische geworden.
Und der Fuhrmann kam und
sah im Gleise den Oheim,
Hastig zog er sein Schwert, ihm eins zu
versetzen; der Kluge Rührt' und regte sich nicht, als wär er gestorben;
der Fuhrmann Wirft ihn auf seinen Karrn und freut sich des Balges im
voraus. Ja, das wagte mein Oheim für Isegrim; aber der Fuhrmann

Fuhr dahin, und Reineke warf von den Fischen herunter.
Isegrim kam

von ferne geschlichen, verzehrte die Fische.
Reineken mochte nicht
länger zu fahren belieben; er hub sich, Sprang vom Karren und
wünschte nun auch von der Beute zu speisen. Aber Isegrim hatte sie
alle verschlungen; er hatte
Über Not sich beladen, er wollte bersten.
Die Gräten
Ließ er allein zurück und bot dem Freunde den Rest an.

Noch ein anderes Stückchen! auch dies erzähl ich Euch wahrhaft.
Reineken war es bewußt, bei einem Bauer am Nagel
Hing ein
gemästetes Schwein, erst heute geschlachtet; das sagt' er Treu dem
Wolfe: sie gingen dahin, Gewinn und Gefahren
Redlich zu teilen.
Doch Müh und Gefahr trug jener alleine.
Denn er kroch zum Fenster
hinein und warf mit Bemühen
Die gemeinsame Beute dem Wolf
herunter; zum Unglück
Waren Hunde nicht fern, die ihn im Hause
verspürten
Und ihm wacker das Fell zerzausten. Verwundet entkam
er,
Eilig sucht' er Isegrim auf und klagt' ihm sein Leiden
Und
verlangte sein Teil. Da sagte jener: Ich habe
Dir ein köstliches Stück
verwahrt, nun mache dich drüber
Und benage mirs wohl; wie wird
das Fette dir schmecken!
Und er brachte das Stück, das Krummholz
war es, der Schlächter Hatte daran das Schwein gehängt; der köstliche
Braten
War vom gierigen Wolfe, dem ungerechten, verschlungen.

Reineke konnte vor Zorn nicht reden, doch was er sich dachte, Denket
euch selbst. Herr König, gewiß, daß hundert und drüber Solcher
Stückchen der Wolf an meinem Oheim verschuldet!
Aber ich
schweige davon. Wird Reineke selber gefordert,
Wird er sich besser
verteidigen. Indessen, gnädigster König, Edler Gebieter, ich darf es
bemerken: Ihr habet, es haben
Diese Herren gehört, wie töricht
Isegrims Rede
Seinem eignen Weibe und ihrer Ehre zu nah tritt,

Die er mit Leib und Leben beschützen sollte. Denn freilich
Sieben
Jahre sinds her und drüber, da schenkte mein Oheim
Seine Lieb und
Treue zum guten Teile der schönen
Frauen Gieremund; solches
geschah beim nächtlichen Tanze;
Isegrim war verreist, ich sag es, wie
mirs bekannt ist.
Freundlich und höflich ist sie ihm oft zu Willen
geworden,
Und was ist es denn mehr? Sie bracht es niemals zur
Klage,
Ja, sie lebt und befindet sich wohl, was macht er für Wesen?
Wär er klug, so schwieg' er davon, es bringt ihm nur Schande. Weiter

sagte der Dachs: Nun kommt das Märchen vom Hasen!
Eitel leeres
Gewäsche! Den Schüler sollte der Meister
Etwa nicht züchtigen,
wenn er nicht merkt und übel bestehet? Sollte man nicht die Knaben
bestrafen, und ginge der Leichtsinn, Ginge die Unart so hin, wie sollte
die Jugend erwachsen?
Nun klagt Wackerlos, wie er ein Würstchen
im Winter verloren Hinter der Hecke; das sollt er nur lieber im stillen
verschmerzen, Denn wir hören es ja, sie war gestohlen; zerronnen

Wie gewonnen; und wer kann meinem Oheim verargen,
Daß er
gestohlenes Gut dem Diebe genommen? Es sollen
Edle Männer von
hoher Geburt sich gehässig den Dieben
Und gefährlich erzeigen. Ja,
hätt er ihn damals gehangen,
War es verzeihlich. Doch ließ er ihn los,
den König zu ehren; Denn am Leben zu strafen, gehört dem König
alleine.
Aber wenigen Danks kann sich mein Oheim getrösten,
So
gerecht er auch sei und übeltaten verwehret.
Denn seitdem des
Königes Friede verkündiget worden,
Hält sich niemand wie er. Er hat
sein Leben verändert,
Speiset nur einmal des Tags, lebt wie ein
Klausner, kasteit sich, Trägt ein härenes Kleid auf bloßem Leibe und
hat schon
Lange von Wildbret und zahmem Fleische sich gänzlich
enthalten, Wie mir noch gestern einer erzählte, der bei ihm gewesen.

Malepartus, sein Schloß, hat er verlassen und baut sich
Eine Klause
zur Wohnung. Wie er so mager geworden,
Bleich von Hunger und
Durst und andern strengeren Bußen,
Die er reuig erträgt, das werdet
Ihr selber erfahren.
Denn was kann es ihm schaden, daß hier ihn jeder
verklaget? Kommt er hieher, so führt er
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