Pole Poppenspaeler | Page 6

Theodor W. Storm
die meine, daß ich davon erwachte. Da sah ich denn freilich,
daß es nur ein Traum gewesen war.

Ich verschloß das alles in meinem Herzen und wagte zu Hause kaum
den Mund aufzutun von der Puppenkomödie. Als aber am nächsten
Sonntag der Ausrufer wieder durch die Straßen ging, an sein Becken
schlug und laut verkündigte: "Heute abend auf dem Schützenhof:
Doktor Fausts Höllenfahrt, Puppenspiel in vier Aufzügen!"--da war es
doch nicht länger auszuhalten. Wie die Katze um den heißen Brei, so
schlich ich um meinen Vater herum, und endlich hatte er meinen
stummen Blick verstanden.--"Pole", sagte er, "es könnte dir ein Tropfen
Blut vom Herzen gehen; vielleicht ist's die beste Kur, dich einmal
gründlich satt zu machen." Damit langte er in die Westentasche und
gab mir einen Doppeltschilling.
Ich rannte sofort aus dem Hause; erst auf der Straße wurde es mir klar,
daß ja noch acht lange Stunden bis zum Anfang der Komödie
abzuleben waren. So lief ich denn hinter den Gärten auf den
Bürgersteig. Als ich an den offenen Grasgarten des Schützenhofs
gekommen war, zog es mich unwillkürlich hinein; vielleicht, daß gar
einige Puppen dort oben aus den Fenstern guckten; denn die Bühne lag
ja an der Rückseite des Hauses. Aber ich mußte dann erst durch den
oberen Teil des Gartens, der mit Linden- und Kastanienbäumen dicht
bestanden war. Mir wurde etwas zag zumute; ich wagte doch nicht
weiter vorzudringen. Plötzlich erhielt ich von einem großen, hier
angepflockten Ziegenbock einen Stoß in den Rücken, daß ich um
zwanzig Schritte weiter flog. Das half; als ich mich umsah, stand ich
schon unter den Bäumen.
Es war ein trüber Herbsttag; einzelne gelbe Blätter sanken schon zur
Erde; über mir in der Luft schrien ein paar Strandvögel, die ans Haff
hinausflogen; kein Mensch war zu sehen noch zu hören. Langsam
schritt ich durch das Unkraut, das auf den Steigen wucherte, bis ich
einen schmalen Steinhof erreicht hatte, der den Garten von dem Hause
trennte.--Richtig! Dort von oben schauten zwei große Fenster in den
Hof herab; aber hinter den kleinen in Blei gefaßten Scheiben war es
schwarz und leer, keine Puppe war zu sehen. Ich stand eine Weile, mir
wurde ganz unheimlich in der mich rings umgebenden Stille.
Da sah ich, wie unten die schwere Hoftür von innen eine Handbreit
geöffnet wurde, und zugleich lugte auch ein schwarzes Köpfchen
daraus hervor.
"Lisei!" rief ich.

Sie sah mich groß mit ihren dunklen Augen an. "B'hüt Gott!" sagte sie,
"hab i doch nit gewußt, was da außa rumkraxln tät! Wo kommst denn
du daher?"
"Ich?--Ich geh spazieren, Lisei!--Aber sag mir, spielt ihr denn schon
jetzt Komödie?"
Sie schüttelte lachend den Kopf.
"Aber, was machst du denn hier?" fragte ich weiter, indem ich über den
Steinhof zu ihr trat.
"I wart auf den Vater", sagte sie, "er ist ins Quartier, um Band und
Nagel zu holen, er macht's halt firti für heut abend."
"Bist du denn ganz allein hier, Lisei?"
--"O nei; du bist ja aa no da!"
"Ich meine", sagte ich, "ob nicht deine Mutter oben auf dem Saal ist?"
Nein, die Mutter saß in der Herberge und besserte die Puppenkleider
aus; das Lisei war hier ganz allein.
"Hör", begann ich wieder, "du könntest mir einen Gefallen tun; es ist
unter eueren Puppen einer, der heißt Kasperl; den möcht ich gar zu gern
einmal in der Nähe sehen."
"Den Wurstl meinst?" sagte Lisei und schien sich eine Weile zu
bedenken. "Nu, es ging scho; aber g'schwind mußt sein, eh denn der
Vater wieder da ist!"
Mit diesen Worten waren wir schon ins Haus getreten und liefen eilig
die steile Wendeltreppe hinauf.--Es war fast dunkel in dem großen
Saale; denn die Fenster, welche sämtlich nach dem Hofe hinaus lagen,
waren von der Bühne verdeckt; nur einzelne Lichtstreifen fielen durch
die Spalten des Vorhangs.
"Komm!" sagte Lisei und hob seitwärts an der Wand die dort aus einem
Teppich bestehende Verkleidung in die Höhe; wir schlüpften hindurch,
und da stand ich in dem Wundertempel.--Aber von der Rückseite
betrachtet und hier in der Tageshelle sah er ziemlich kläglich aus; ein
Gerüst aus Latten und Brettern, worüber einige buntbekleckste
Leinwandstücke hingen; das war der Schauplatz, auf welchem das
Leben der heiligen Genoveva so täuschend an mir vorübergegangen
war.
Doch ich hatte mich zu früh beklagt; dort, an einem Eisendrahte, der
von einer Kulisse nach der Wand hinübergespannt war, sah ich zwei
der wunderbaren Puppen schweben; aber sie hingen mit dem Rücken

gegen mich, so daß ich sie nicht erkennen konnte.
"Wo sind die andern, Lisei?" fragte ich; denn ich hätte gern die ganze
Gesellschaft auf einmal mir besehen.
"Hier im Kast'l", sagte Lisei und klopfte mit ihrer kleinen Faust auf
eine im Winkel stehende Kiste; "die zwei da sind schon zug'richt; aber
geh nur her dazu und schau's dir a; er is scho dabei, dei Freund, der
Kasperl!"
Und wirklich, er war es
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