Pole Poppenspaeler | Page 5

Theodor W. Storm
mochte. Auch dort schien es
wohlgefüllt zu sein; genau vermochte ich es nicht zu sehen, denn die
wenigen Talglichter, welche in Blechlampetten an den beiden
Seitenwänden brannten, verbreiteten nur eine schwache Helligkeit;
auch dunkelte die schwere Balkendecke des Saales. Mein Nachbar
wollte mir eine Schulgeschichte erzählen; ich begriff nicht, wie er an so
etwas denken konnte, ich schaute nur auf den Vorhang, der von den

Lampen des Podiums und der Musikantenpulte feierlich beleuchtet war.
Und jetzt ging ein Wehen über seine Fläche, die geheimnisvolle Welt
hinter ihm begann sich schon zu regen; noch einen Augenblick, da
erscholl das Läuten eines Glöckchens, und während unter den
Zuschauern das summende Geplauder wie mit einem Schlage
verstummte, flog der Vorhang in die Höhe.--Ein Blick auf die Bühne
versetzte mich um tausend Jahre rückwärts. Ich sah in einen
mittelalterlichen Burghof mit Turm und Zugbrücke; zwei kleine
ellenlange Leute standen in der Mitte und redeten lebhaft miteinander.
Der eine mit dem schwarzen Barte, dem silbernen Federhelm und dem
goldgestickten Mantel über dem roten Unterkleide war der Pfalzgraf
Siegfried; er wollte gegen die heidnischen Mohren in den Krieg reiten
und befahl seinem jungen Hausmeister Golo, der in blauem
silbergesticktem Wamse neben ihm stand, zum Schutze der Pfalzgräfin
Genoveva in der Burg zurückzubleiben. Der treulose Golo aber tat
gewaltig wild, daß er seinen guten Herrn so allein in das grimme
Schwerterspiel sollte reiten lassen. Sie drehten bei diesen Wechselreden
die Köpfe hin und her und fochten heftig und ruckweise mit den
Armen.--Da tönten kleine langgezogene Trompetentöne von draußen
hinter der Zugbrücke, und zugleich kam auch die schöne Genoveva in
himmelblauem Schleppkleide hinter dem Turm hervorgestürzt und
schlug beide Arme über des Gemahls Schultern: "Oh, mein
herzallerliebster Siegfried, wenn dich die grausamen Heiden nur nicht
massakrieren!" Aber es half ihr nichts; noch einmal ertönten die
Trompeten, und der Graf schritt steif und würdevoll über die
Zugbrücke aus dem Hofe; man hörte deutlich draußen den Abzug des
gewappneten Trupps. Der böse Golo war jetzt Herr der Burg.-Und nun
spielte das Stück sich weiter, wie es in deinem Lesebuch gedruckt
steht.--Ich war auf meiner Bank ganz wie verzaubert; diese seltsamen
Bewegungen, diese feinen oder schnurrenden Puppenstimmchen, die
denn doch wirklich aus ihrem Munde kamen--es war ein unheimliches
Leben in diesen kleinen Figuren, das gleichwohl meine Augen wie
magnetisch auf sich zog.
Im zweiten Aufzuge aber sollte es noch besser kommen.--Da war unter
den Dienern auf der Burg einer im gelben Nankinganzug, der hieß
Kasperl. Wenn dieser Bursche nicht lebendig war, so war noch niemals
etwas lebendig gewesen; er machte die ungeheuersten Witze, so daß

der ganze Saal vor Lachen bebte; in seiner Nase, die so groß wie eine
Wurst war, mußte er jedenfalls ein Gelenk haben; denn wenn er so sein
dumm-pfiffiges Lachen herausschüttelte, so schlenkerte der
Nasenzipfel hin und her, als wenn auch er sich vor Lustigkeit nicht zu
lassen wüßte; dabei riß der Kerl seinen großen Mund auf und knackte,
wie eine alte Eule, mit den Kinnbacksknochen. "Pardauz!" schrie es; so
kam er immer auf die Bühne gesprungen; dann stellte er sich hin und
sprach erst bloß mit seinem großen Daumen; den konnte er so
ausdrucksvoll hin und wider drehen, daß es ordentlich ging wie "Hier
nix und da nix! Kriegst du nix, so hast du nix!" Und dann sein
Schielen;--das war so verführerisch, daß im Augenblick dem ganzen
Publikum die Augen verquer im Kopfe standen. Ich war ganz vernarrt
in den lieben Kerl!
Endlich war das Spiel zu Ende, und ich saß wieder zu Hause in unserer
Wohnstube und verzehrte schweigend das Aufgebratene, das meine
gute Mutter mir warm gestellt hatte. Mein Vater saß im Lehnstuhl und
rauchte seine Abendpfeife. "Nun, Junge", rief er, "waren sie lebendig?"
"Ich weiß nicht, Vater", sagte ich und arbeitete weiter in meiner
Schüssel; mir war noch ganz verwirrt zu Sinne.
Er sah mir eine Weile mit seinem klugen Lächeln zu. "Höre, Paul",
sagte er dann, "du darfst nicht zu oft in diesen Puppenkasten; die
Dinger könnten dir am Ende in die Schule nachlaufen."
Mein Vater hatte nicht unrecht. Die Algebraaufgaben gerieten mir in
den beiden nächsten Tagen so mäßig, daß der Rechenmeister mich von
meinem ersten Platz herabzusetzen drohte.--Wenn ich in meinem
Kopfe rechnen wollte: "a + b gleich x = c", so hörte ich statt dessen vor
meinen Ohren die feine Vogelstimme der schönen Genoveva: "Ach,
mein herzallerliebster Siegfried, wenn dich die bösen Heiden nur nicht
massakrieren!" Einmal--aber es hat niemand gesehen--schrieb ich sogar
"x + Genoveva" auf die Tafel.--Des Nachts in meiner Schlafkammer
rief es einmal ganz laut "Pardauz", und mit einem Satz kam der liebe
Kasperl in seinem Nankinganzug zu mir ins Bett gesprungen, stemmte
seine Arme zu beiden Seiten meines Kopfes in das Kissen und rief,
grinsend auf mich herabnickend: "Ach, du liebs Brüderl! Ach, du
hertausig liebs Brüderl!" Dabei hackte er mir mit seiner langen roten
Nase in
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