Philotas | Page 8

Gotthold Ephraim Lessing

Mißdeutungen, unendlicher Beschönigungen fähig. Nur dem
untrüglichen Auge der Götter erscheinen wir, wie wir sind; nur das

kann uns richten. Die Götter aber, du weißt es, König, sprechen ihr
Urteil durch das Schwert des Tapfersten. Laß uns den blutigen Spruch
aushören! Warum wollen wir uns kleinmütig von diesem höchsten
Gerichte wieder zu den niedrigern wenden? Sind unsere Fäuste schon
so müde, daß die geschmeidige Zunge sie ablösen müsse?
Aridäus. Prinz, ich höre dich mit Erstaunen--
Philotas. Ach!--Auch ein Weib kann man mit Erstaunen hören!
Aridäus. Mit Erstaunen, Prinz, und nicht ohne Jammer!--Dich hat das
Schicksal zur Krone bestimmt, dich!--Dir will es die Glückseligkeit
eines ganzen, mächtigen, edeln Volkes anvertrauen; dir!--Welch eine
schreckliche Zukunft enthüllt sich mir! Du wirst dein Volk mit
Lorbeern und Elend überhäufen. Du wirst mehr Siege, als glückliche
Untertanen zählen.--Wohl mir, daß meine Tage in die deinigen nicht
reichen werden! Aber wehe meinem Sohne, meinem redlichen Sohne!
Du wirst es ihm schwerlich vergönnen, den Harnisch abzulegen--
Philotas. Beruhige den Vater, o König! Ich werde deinem Sohne weit
mehr vergönnen! weit mehr!
Aridäus. Weit mehr? Erkläre dich--
Philotas. Habe ich ein Rätsel gesprochen?--O verlange nicht, König,
daß ein Jüngling, wie ich, alles mit Bedacht und Absicht sprechen soll.
--Ich wollte nur sagen: Die Frucht ist oft ganz anders, als die Blüte sie
verspricht. Ein weibischer Prinz, hat mich die Geschichte gelehrt, ward
oft ein kriegerischer König. Könnte mit mir sich nicht das Gegenteil
zutragen?--Oder vielleicht war auch diese meine Meinung, daß ich
noch einen weiten und gefährlichen Weg zum Throne habe. Wer weiß,
ob die Götter mich ihn vollenden lassen?--Und laß mich ihn nicht
vollenden, Vater der Götter und Menschen, wenn du in der Zukunft
mich als einen Verschwender des Kostbarsten, was du mir anvertrauet,
des Blutes meiner Untertanen, siehest!--
Aridäus. Ja, Prinz; was ist ein König, wenn er kein Vater ist! Was ist
ein Held ohne Menschenliebe! Nun erkenne ich auch diese in dir, und

bin wieder ganz dein Freund!--Aber komm, komm; wir müssen hier
nicht allein bleiben. Wir sind einer dem andern zu ernsthaft. Folge mir!
Philotas. Verzeih, König--
Aridäus. Weigere dich nicht!
Philotas. So wie ich bin, mich vor vielen sehen zu lassen?--
Aridäus. Warum nicht?
Philotas. Ich kann nicht, König; ich kann nicht.
Aridäus. Und die Ursache?
Philotas. O die Ursache!--Sie würde dich zum Lachen bewegen.
Aridäus. Um so viel lieber laß sie mich hören. Ich bin ein Mensch, und
weine und lache gern.
Philotas. Nun so lache denn!--Sieh, König, ich habe kein Schwert, und
ich möchte nicht gern, ohne dieses Kennzeichen des Soldaten, unter
Soldaten erscheinen.
Aridäus. Mein Lachen wird zur Freude. Ich habe in voraus hierauf
gedacht, und du wirst sogleich befriediget werden. Strato hat Befehl,
dir dein Schwert wieder zu schaffen.
Philotas. Also laß uns ihn hier erwarten.
Aridäus. Und alsdenn begleitest du mich doch?--
Philotas. Alsdenn werde ich dir auf dem Fuße nachfolgen.
Aridäus. Gewünscht! da kömmt er! Nun, Strato--

Achter Auftritt.

Strato (mit einem Schwerte in der Hand). Aridäus. Philotas.
Strato. König, ich kam zu dem Soldaten, der den Prinzen gefangen
genommen, und forderte des Prinzen Schwert in deinem Namen von
ihm zurück. Aber höre, wie edel sich der Soldat weigerte. "Der König",
sprach er, "muß mir das Schwert nicht nehmen. Es ist ein gutes Schwert,
und ich werde es für ihn brauchen. Auch muß ich ein Andenken von
dieser meiner Tat behalten. Bei den Göttern, sie war keine von meinen
geringsten! Der Prinz ist ein kleiner Dämon. Vielleicht aber ist es euch
nur um den kostbaren Heft zu tun--" Und hiermit, ehe ich es verhindern
konnte, hatte seine starke Hand den Heft abgewunden, und warf mir ihn
verächtlich zu Füßen--"Da ist er!" fuhr er fort. "Was kümmert mich
euer Gold?"
Aridäus. O Strato, mache mir den Mann wieder gut!--
Strato. Ich tat es. Und hier ist eines von deinen Schwertern!
Aridäus. Gibt her!--Willst du es, Prinz, für das deinige annehmen?
Philotas. Laß sehen!--Ha!--(Beiseite.) Habet Dank, ihr Götter! (Indem
er es lange und ernsthaft betrachtet.)--Ein Schwert!
Strato. Habe ich nicht gut gewählet, Prinz?
Aridäus. Was findest du deiner tiefsinnigen Aufmerksamkeit so wert
daran?
Philotas. Daß es ein Schwert ist!--(Indem er wieder zu sich kömmt.)
Und ein schönes Schwert! Ich werde bei diesem Tausche nichts
verlieren.--Ein Schwert!
Aridäus. Du zitterst, Prinz.
Philotas. Vor Freuden!--Ein wenig zu kurz scheinet es mir bei alledem.
Aber was zu kurz? Ein Schritt näher auf den Feind ersetzt, was ihm am
Eisen abgehet.--Liebes Schwert! Welche eine schöne Sache ist ein
Schwert, zum Spiele und zum Gebrauche! Ich habe nie mit etwas

andern gespielt.--
Aridäus (zum Strato). O der wunderbaren Vermischung von Kind und
Held!
Philotas (beiseite). Liebes Schwert! Wer doch bald mit dir allein
wäre!--Aber, gewagt!
Aridäus. Nun lege das Schwert an, Prinz; und folge mir.
Philotas. Sogleich!--Doch seinen Freund und sein Schwert muß man
nicht bloß von außen kennen. (Er zieht es, und Strato tritt zwischen ihn
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