Philotas | Page 5

Gotthold Ephraim Lessing
Nein, ehrlicher Parmenio; nun im Ernst! Mein Vater weiß es,
daß dich der Feind verblutet und schon halb erstarrt von der Walstatt
aufgehoben. Laß prahlen, wer prahlen will; der ist leicht gefangen zu
nehmen, den der nahende Tod schon entwaffnet hat.--Wie viele
Wunden hast du nun, alter Knecht?--
Parmenio. O, davon konnte ich sonst eine lange Liste hersagen. Itzt
aber habe ich sie um ein gut Teil verkürzt.
Philotas. Wie das?
Parmenio. Ha! Ich rechne nun nicht mehr die Glieder, an welchen ich
verwundet bin; Zeit und Atem zu ersparen, zähle ich die, an welchen
ich es nicht bin.--Kleinigkeiten bei dem allem! Wozu hat man die
Knochen anders, als daß sich die feindlichen Eisen darauf schartig
hauen sollen?
Philotas. Das ist wacker!--Aber nun--was willst du meinem Vater
sagen?
Parmenio. Was ich sehe; daß du dich wohl befindest. Denn deine
Wunde, wenn man mir anders die Wahrheit gesagt hat,--
Philotas. Ist so gut als keine.
Parmenio. Ein kleines liebes Andenken. Dergleichen uns ein
inbrünstiges Mädchen in die Lippe beißt. Nicht wahr, Prinz?

Philotas. Was weiß ich davon?
Parmenio. Nu, nu; kömmt Zeit, kömmt Erfahrung.--Ferner will ich
deinem Vater sagen, was ich glaube, daß du wünschest--
Philotas. Und was ist das?
Parmenio. Je eher, je lieber wieder bei ihm zu sein. Deine kindliche
Sehnsucht, deine bange Ungeduld--
Philotas. Mein Heimweh lieber gar. Schalk! warte, ich will dich anders
denken lehren!
Parmenio. Bei dem Himmel, das mußt du nicht! Mein lieber
frühzeitiger Held, laß dir das sagen: Du bist noch Kind! Gib nicht zu,
daß der rauhe Soldat das zärtliche Kind so bald in dir ersticke. Man
möchte sonst von deinem Herzen nicht zum besten denken; man
möchte deine Tapferkeit für angeborne Wildheit halten. Ich bin auch
Vater, Vater eines einzigen Sohnes, der nur wenig älter als du, mit
gleicher Hitze--du kennst ihn ja.
Philotas. Ich kenne ihn. Er verspricht alles, was sein Vater geleistet hat.
Parmenio. Aber wüßte ich, daß sich der junge Wildfang nicht in allen
Augenblicken, die ihm der Dienst frei läßt, nach seinem Vater sehnte,
und sich nicht so nach ihm sehnte, wie sich ein Lamm nach seiner
Mutter sehnet: so möchte ich ihn gleich--siehst du!--nicht erzeugt
haben. Itzt muß er mich noch mehr lieben, als ehren. Mit dem Ehren
werde ich mich so Zeit genug müssen begnügen lassen; wenn nämlich
die Natur den Strom seiner Zärtlichkeit einen andern Weg leitet; wenn
er selbst Vater wird.--Werde nicht ungehalten, Prinz.
Philotas. Wer kann auf dich ungehalten werden?--Du hast recht! Sage
meinem Vater alles, was du glaubest, daß ihm ein zärtlicher Sohn bei
dieser Gelegenheit muß sagen lassen. Entschuldige meine jugendliche
Unbedachtsamkeit, die ihn und sein Reich fast ins Verderben gestürzt
hätte. Bitte ihn, mir meinen Fehler zu vergeben. Versichere ihn, daß ich
ihn nie durch einen ähnlichen Fehler wieder daran erinnern will; daß

ich alles tun will, damit er ihn auch vergessen kann. Beschwöre ihn--
Parmenio. Laß mich nur machen! So etwas können wir Soldaten recht
gut sagen.--Und besser als ein gelehrter Schwätzer; denn wir sagen es
treuherziger.--Laß mich nur machen! Ich weiß schon alles.--Lebe wohl,
Prinz; ich eile--
Philotas. Verzieh!
Parmenio. Nun?--Und welch feierliches Ansehen gibst du dir auf
einmal?
Philotas. Der Sohn hat dich abgefertiget, aber noch nicht der Prinz.--
Jener mußte fühlen; dieser muß überlegen. Wie gern wollte der Sohn
gleich itzt, wie gern wollte er noch eher, als möglich, wieder um seinen
Vater, um seinen geliebten Vater sein; aber der Prinz--der Prinz kann
nicht.--Höre!
Parmenio. Der Prinz kann nicht?
Philotas. Und will nicht.
Parmenio. Will nicht?
Philotas. Höre!
Parmenio. Ich erstaune--
Philotas. Ich sage, du sollst hören und nicht erstaunen. Höre!
Parmenio. Ich erstaune, weil ich höre. Es hat geblitzt, und ich erwarte
den Schlag.--Rede!--Aber, junger Prinz, keine zweite Übereilung!--
Philotas. Aber, Soldat, kein Vernünfteln!--Höre! Ich habe meine
Ursachen, nicht eher ausgelöset zu sein, als morgen. Nicht eher als
morgen! Hörst du?--Sage also unserm Könige, daß er sich an die
Eilfertigkeit des feindlichen Herolds nicht kehre. Eine gewisse
Bedenklichkeit, ein gewisser Anschlag nötige den Philotas zu dieser
Verzögerung.--Hast du mich verstanden?

Parmenio. Nein!
Philotas. Nicht? Verräter!--
Parmenio. Sachte, Prinz! Ein Papagei versteht nicht, aber er behält, was
man ihm vorsagt. Sei unbesorgt. Ich will deinem Vater alles wieder
herplappern, was ich von dir höre.
Philotas. Ha! ich untersagte dir, zu vernünfteln, und das verdreußt dich.
Aber wie bist denn du so verwöhnt? Haben dir alle deine Befehlshaber
Gründe gesagt?--
Parmenio. Alle, Prinz; ausgenommen die jungen.
Philotas. Vortrefflich! Parmenio, wenn ich so empfindlich wäre, als
du--
Parmenio. Und doch kann nur derjenige meinen blinden Gehorsam
heischen, dem die Erfahrung doppelte Augen gegeben.
Philotas. Bald werde ich dich also um Verzeihung bitten müssen.--Nun
wohl, ich bitte dich um Verzeihung, Parmenio. Murre nicht, Alter! Sei
wieder gut, alter Vater!--Du bist freilich klüger, als ich. Aber nicht die
Klügsten allein haben die besten Einfälle. Gute Einfälle sind
Geschenke des Glückes; und das Glück,
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 12
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.