Phantasten | Page 8

Erich von Mendelssohn
sagte der junge Mann,
wobei er Edgar Allan die Hand reichte, die dieser höflich nahm.
Als alle drei wieder saßen, fragte Paul Seebeck seinen
Schulkameraden:
»Woher weißt du eigentlich von der ganzen Geschichte?«
»Du mußt mir Diskretion versprechen«, sagte Otto Meyer feierlich.
»Gewiß.«
»Also die Sache steht lang und breit da drin -«, er wies auf die Zeitung,
die er noch immer in der Linken hielt - »sogar in der halbamtlichen
Fassung des Wolffschen Bureaus.«
»Zeig doch mal«, sagte Seebeck und griff nach dem Blatte.
»Nein, ich werde es vorlesen, sonst verstehst du es nicht richtig.« Und

er las:
»Eine Erweiterung des deutschen Kolonialbesitzes?
Durch den Schriftsteller und Forschungsreisenden Paul Seebeck wurde
da und da eine unbewohnte, vulkanische Insel mit einem Flächenraume
von zwölfhundert Quadratkilometern entdeckt und für das Deutsche
Reich in Besitz genommen. Da auf und bei der fraglichen Insel auch
nicht das allergeringste zu holen ist -«
»Willst du vielleicht die Güte haben, ungefähr das zu lesen, was
dasteht?« unterbrach Seebeck den Lesenden. »Die Sache interessiert
mich nämlich.«
Otto Meyer las weiter:
»Da die fragliche Insel augenscheinlich nur als Wohnsitz einiger,
weniger Menschen in Betracht kommen kann und nicht für eine
eigentliche Kolonie, ließ der Staatssekretär des Kolonialamtes dem
Entdecker der Insel, Herrn Paul Seebeck, bis auf weiteres freie Hand in
allen Fragen der Besiedelung der Insel, wobei er ihn auf Widerruf zum
Reichskommissar mit allen Rechten und Pflichten eines solchen
ernannte.
Diese Ernennung, die selbstverständlich im Einverständnisse mit dem
Reichskanzler erfolgte, ist als eine Konzession an die durch das
Scheitern der preußischen Wahlreform verstimmten linksstehenden
Parteien aufzufassen. Die Konservativen beruhigte der Reichskanzler
durch das bindende Versprechen, daß die Insel in drei Jahren ebenso
still und leise verschwinden würde, wie sie aufgetaucht ist -«
Paul Seebeck und Edgar Allan lachten. Otto Meyer reichte Paul
Seebeck die Zeitung und dieser las die Notiz aufmerksam durch. Als er
das Blatt fortlegte, fragte Otto Meyer:
»Ist es wirklich dein Ernst, dort eine Republik zu gründen? Eine
republikanisch regierte, deutsche Kolonie?«

»Ja, machst du mit?«
»Mit Vergnügen, aber nur als Justizminister«, sagte Otto Meyer ruhig.
»Als Justizminister? Hm. Daran hatte ich eigentlich nicht gedacht. Ich
dachte eher als Staatslausejunge, als offizielles, destruktives Element.«
»Du bist furchtbar liebenswürdig«, antwortete Otto Meyer, ohne im
geringsten beleidigt zu sein. »Aber sag mal, willst du nicht morgen bei
uns zu Mittag essen? Meine Eltern würden sich doch sehr freuen, dich
mit australischem Ruhme bedeckt, dazu noch als zukünftigen Imperator
Rex begrüßen zu können.«
»Schön. Wie früher um Drei?«
»Ja.«
Jetzt erhob sich Edgar Allan und nahm Abschied. Paul Seebeck
begleitete ihn, so wie er war, in Frack und ohne Hut, auf die Straße
hinaus. Als er zurückkam, fragte Otto Meyer:
»Was hast du dir denn da für einen steifen Engländer aufgegabelt?«
»Na, er ist mehr Deutscher als Engländer. Deutsche Mutter und in
Deutschland erzogen. Er ist sonst auch gar nicht steif, hat nur jetzt recht
unangenehme Sachen durchgemacht. Ich hoffe, daß er mit mir kommt -
und uns unsere Stadt baut. Er ist gerade der Typus Mensch, den wir
brauchen; das heißt, er ist gerade kein Typus, sondern ein Mensch.«
»Ich bitte dich, sei nicht so schrecklich geistreich«, sagte Otto Meyer.
»Sonst bekomme ich Magenschmerzen.«
»Entschuldige mich einen Augenblick«, sagte Paul Seebeck aufstehend
und ging auf Jakob Silberland zu, der gerade zur Tür hereintrat. Paul
Seebeck stellte ihm Otto Meyer vor, und als sie wieder Platz
genommen hatten, sagte er:
»Edgar Allan kommt mit. Noch ein paar Leute, und wir können
anfangen.«

»Kommt er? Gut! Da haben wir ja einen ganzen Kerl gewonnen. Ja, du,
was ich sagen wollte - mir sind noch einige Leute eingefallen - aber
man kann ja nicht gut jemand auffordern. Und wie soll man es sonst
diesen Leuten nahelegen?«
»Gar nicht, natürlich«, antwortete Paul Seebeck. »Wer nicht freiwillig,
aus innerstem Instinkt zu uns kommt, mag fortbleiben. Die brauchen
wir, die uns zufällig finden, weil sie uns brauchen.«
»Ja, ja«, sagte Jakob Silberland etwas verlegen. »Aber wir müssen doch
einen Anfang haben. Wir zwei, drei Menschen können uns dort nicht
festsetzen und auf die anderen warten. Damit würden wir uns nur
lächerlich machen und gar nichts erreichen.«
»Du irrst. Wir müssen gerade hingehen und uns der Lächerlichkeit
aussetzen.«
»Ich fürchte nur, daß wir zwei, mit Edgar Allan also drei, unser ganzes
Leben lang allein auf der Insel hocken werden.«
Otto Meyer, der offenbar fürchtete, Zeuge eines Streites der beiden
Freunde zu werden, verabschiedete sich, wobei er Seebeck daran
erinnerte, daß er morgen zum Mittagessen zu kommen versprochen
hätte.
Der Streit brach aber nicht aus, im Gegenteil, Paul Seebeck sagte ganz
ruhig, wobei er seinem Freunde gerade ins Gesicht blickte:
»Ich verstehe dich vollkommen; du willst gleich mit einem gewissen
Material anfangen. Ich glaube, du machst dir unnötige Sorgen. Es
werden mehr zu uns kommen, als wir brauchen können. Du wirst sehen,
daß viele gleich mit
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