Phantasten | Page 7

Erich von Mendelssohn

einen schweren Körper herausgleiten zu sehen, der kein Fisch sein
konnte. Ängstlich sah er Paul Seebeck an, aber dieser lächelte nur.
Jetzt hob sich zwanzig Schritte von ihm entfernt, ein riesiger,
schwarzer Kopf aus dem Wasser, ein breites, zahnloses Maul öffnete
sich - -
Mit einem Entsetzensschrei sprang Silberland auf. Sofort verschwand
der Kopf im Wasser. Paul Seebeck aber sagte lachend:
»Du sollst mir meine Tiere nicht scheu machen.«

»Was sind das für Tiere?« fragte Jakob Silberland, noch am ganzen
Körper zitternd.
»Schildkröten, mein Junge, allerdings reichlich große.«
»Riesenschildkröten?« fragte Jakob Silberland aufatmend.
»Ja. Und zwar sind es reine Wassertiere. Ich habe sie nie länger als für
Minuten am Lande gesehen. - Sei ruhig, hier können sie nicht
heraufkrabbeln. - Am Tage sieht man sie immer nur ganz flüchtig. Aber
in hellen Mondscheinnächten habe ich sie oft viele Stunden lang
beobachtet. Sie können schwimmen, tun es aber fast nie. Sie kriechen
auf dem Boden hin. Es gibt unzählige hier. Die größten waren über vier
Meter lang.
Ich traute mich nie recht, mit meinem Motorboote vom Meere her in
die Bucht zu fahren, um die Tiere nicht zu erschrecken. Außerdem
würden die unzähligen Sandbänke und Klippen, die du siehst, die
Sache fast unmöglich gemacht haben, ganz abgesehen von den riesigen
Algen, die meiner Schiffsschraube wohl das Leben gekostet hätten.
Aber toll ist es hier. Zuweilen habe ich tief unten im Wasser die
Leuchtorgane von elektrischen Fischen aufblitzen sehen, und bei
Tiefebbe liegen die phantastischsten Tiefseetiere hier herum. Soviel ich
sehen konnte, ist der Meeresboden hier auch nicht nackt, wie bei der
großen Bucht, sondern sieht wie ein submariner Urwald aus, der sich
weit hinaus ins Meer erstreckt. Meine Auffassung ist, daß sich mit der
Hebung der Insel diese unterseeische Oase auch gehoben hat. Wie sie
in dieses Gestein hereinkommt, weiß ich nicht. Vielleicht ruht sie auf
Lehm. Jedenfalls ist sie da, und die Schildkröten mit ihr.
Wenn wir vernünftig sind und keinen Raubbau treiben, können wir
durch die Tiere eine dauernde Einnahmequelle haben, die für die ganze
Insel ausreichen wird. Dazu kommt noch der Fischfang. - Du siehst,
unser Staat braucht keine Not zu leiden.«
Sie warteten noch eine halbe Stunde, aber kein Tier ließ sich mehr
blicken. So traten sie den Rückweg an.

Paul Seebeck saß mit seinem Studienfreunde, dem Architekten Edgar
Allan zusammen im Café Bauer in Berlin. Paul Seebeck war trotz der
frühen Nachmittagsstunde im Frack, denn er hatte am Vormittage
mehrere Staatssekretäre und andere höheren Beamte aufgesucht. Jetzt
hatte er alle offiziellen Schritte getan; da er aber am Abend ins Theater
wollte, wollte er sich nicht erst die Mühe machen, sich für die wenigen
Stunden nochmals umzuziehen. Deshalb war er im Frack geblieben,
und es störte ihn nicht, daß er dadurch etwas Aufsehen erregte.
Edgar Allan war lang und knochig und hatte eine etwas eingefallene
Brust. Auch in seinem scharfgeschnittenen Gesichte verleugnete sich
der englische Halbteil seines Blutes nicht.
Paul Seebeck sah durchs Fenster auf die Straße hinaus. Edgar Allan
stützte seine Ellbogen auf den Tisch und verbarg sein Gesicht in den
langen, mageren Händen. Als er es nach einigen Minuten wieder erhob,
sah er, daß Paul Seebeck ihn jetzt mit seinen großen Augen forschend
anblickte.
Edgar Allan sah ihn erst fremd an, dann verzog sich sein Gesicht. Er
sagte erregt:
»Ich bin übrigens nicht nur mit meiner Klage vom Reichsgericht
abgewiesen; das Warenhaus hat mit seiner Widerklage sogar erreicht,
daß ich zu einer Entschädigung verurteilt wurde. Alle Sachverständigen
waren darin einig, daß mein Bau nicht den Voraussetzungen des
Kontraktes entsprach. Fast meine ganzen Ersparnisse habe ich hingeben
müssen.« Dann fuhr er ruhiger fort: »Die Leute haben aber recht, ich
kann kein einzelnes Haus bauen; ich verstehe überhaupt nicht, wie
jemand das kann. Man soll mir einmal den Bau einer ganzen Stadt
übertragen, dann werde ich schon zeigen, wozu ich tauge.«
Paul Seebeck senkte seine Augen und sah dann wieder zum Fenster
hinaus.
Plötzlich legte Edgar Allan seine Hand auf seinen Arm:

»Wollen Sie mich mitnehmen?« fragte er.
Paul Seebeck wandte sich herum und sah ihm gerade in die Augen:
»Ja«, sagte er, »gerade solche Menschen wie Sie suche ich, brauche ich.
Ich wollte Sie nur aus dem Grunde nicht auffordern, weil ich nicht will,
daß jemand anders als ganz aus freien Stücken zu uns kommt. Halloh!«
rief er, aufstehend, einen vorbeigehenden, jungen, blonden,
hochgewachsenen Herrn zu, der, das »Berliner Tageblatt« in der Hand,
sich gerade nach einem freien Tische umsah.
»Herrgott bist du plötzlich in Berlin?« fragte der Angesprochene im
höchsten Grade erstaunt. »Noch dazu im Frack? Ich dachte, du wärst
Kaffernhäuptling oder Seeräuber oder so etwas ähnliches geworden.«
»Noch nicht«, erwiderte Paul Seebeck. »Aber meine amtliche
Bestallung als Seeräuber habe ich seit heute Vormittag in der Tasche.
Gestatten die Herren, daß ich vorstelle: mein Schulkamerad stud. jur.
Otto Meyer, Architekt Edgar Allan.«
»Referendar Meyer, wenn ich bitten darf«,
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