uns kommen wollen. Aber jetzt mußt du mich
entschuldigen«, brach er ab, wobei er auf die Uhr sah. »Ich will ins
Theater.«
Als Paul Seebeck gegangen war, setzte sich Jakob Silberland richtig in
der Ecke zurecht und ließ sich vom Kellner alle Abendblätter bringen
und las die - je nach der politischen Richtung der betreffenden Zeitung
- wohlwollenden, abwartenden oder gehässigen Glossen zur
halbamtlichen Wolff-Nachricht. Nach einer Stunde war er aber müde
vom Lesen; er lehnte sich zurück und ließ sich sein letztes Gespräch
mit Paul Seebeck noch einmal durch den Kopf gehen. Je mehr er
nachdachte, umsoweniger hielt er Paul Seebecks Ansicht für richtig; er
glaubte vielmehr, daß man sich einen gewissen, soliden Kern sammeln
müßte, um den sich dann die Gemeinschaft kristallisieren könnte. Aber
einfach abwarten - nein. Lieber organisieren, aufbauen.
Und als ihm das als das richtige klar vor Augen stand, beschloß er,
einen Mann aufzusuchen, den er sich als wertvollen Mitarbeiter an der
Sache denken konnte, nämlich den russischen Flüchtling Nechlidow.
Durch schwere, dunkle Vorhänge gedämpft, fiel das Licht in den Salon,
in dem die hohe Frauengestalt stand. Das schwarze Schleppkleid ließ
Hals und Gesicht noch weißer erscheinen, und die großen braunen
Augen leuchteten.
»Warum kommen Sie erst jetzt zu mir?« fragte Frau von Zeuthen Paul
Seebeck, der noch Hut und Stock in der Hand haltend vor ihr stand.
»Wie schön Sie sind!« erwiderte Seebeck und küßte ihre Hand.
»Unveränderlich schön wie ein edles Bild, das Zeiten und Geschehnis
überdauert.«
Ihr Lächeln war nicht der Art als ob sie seine Worte als Schmeichelei
auffaßte. Sie sagte:
»Jetzt müssen Sie mir aber alles, alles erzählen. Ich habe die Zeitungen
gelesen und allerhand gehört. Das will ich jetzt aber vergessen und
alles neu und rein von Ihnen hören.«
Sie setzte sich auf den Divan und wies mit der Hand auf einen
Armstuhl neben dem Rauchtischchen, aber Paul Seebeck blieb stehen:
»In Ihrem Hause ist eine Ruhe wie sonst nirgendwo auf der Welt. Sie
sind einige Jahrhunderte zu spät auf die Welt gekommen, Gabriele. Sie
passen nicht in unser Zeitalter. Sie gehörten nach Italien zur Zeit der
Wiedergeburt, und in Ihren Räumen hätten sich die edelsten Männer
versammelt, um ernst und gewichtig die Fragen zu erörtern -«
»Sie wollten mir doch etwas erzählen«, unterbrach ihn Frau von
Zeuthen, wobei sie sich zurücklehnte.
Paul Seebeck legte Hut und Stock fort und setzte sich in den Armstuhl.
»Also, ich kam von Sidney zurück -«
»Nicht so schnell. Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche. Aber Sie
dürfen Australien nicht überspringen.«
Ȇber Australien kann ich leider nicht viel berichten. Ich kam hin - Sie
kennen ja meinen Expeditionsplan, er stand ja auch in allen Zeitungen -
und wie ich dort war, sah ich, daß meine ganze Expedition eigentlich
überflüssig war. Von dem, was ich als Neuland erforschen wollte, ist
der größte Teil in seinen großen Zügen schon bekannt, sogar schon
aufgenommen, und es reizte mich nicht, mich nur mit den Bagatellen
abzugeben, die natürlich auch von wissenschaftlichem Interesse sind -«
»Da Sie ja mehr Abenteurer als Wissenschaftler sind.«
»Vielleicht, vielleicht liegt der Wert meines Abenteuertums gerade
darin, daß ich nur große Dinge entdecken kann, nicht Kleinigkeiten
untersuchen. Ich kann nur die großen Dinge sehen und räume dann
gern das Feld dem Gelehrten, der dann nach Herzenslust messen und
forschen mag. Schon am ersten Tage in Sidney, wo ich in der
Bibliothek der Geographischen Gesellschaft saß und mir das ganze
Material durchsah, sank mir der Mut. Ich sah wohl, daß da noch
unendlich viel zu tun war, aber fast nichts für mich.
Ich unternahm die Expedition trotzdem - ich war ja dazu verpflichtet -
aber ohne Freude. Dadurch kam auch das Sprunghafte, Unsichere
herein, das manche Zeitungen mit Recht gerügt haben, und kehrte
vorzeitig zurück.«
»Ich las in der Zeitung, daß die furchtbaren Stürme und
Überschwemmungen, die der großen Flutwelle folgten, Sie zur
Rückkehr gezwungen hätten.«
»Ich nahm das mehr als Vorwand. Hätte ich ernstlich gewollt, hätte ich
schon dort bleiben können. Ich kehrte aber nach Sidney zurück.«
»Und dann?«
»Ja, dann sah ich vom Dampfer aus meine Insel, deren Entstehung
natürlich die große Flutwelle verursacht hat. Und da beschloß ich, auf
ihr meinen Staat zu gründen.«
»So schnell?«
»Ja, wissen Sie, Gabriele«, fuhr Paul Seebeck lebhafter fort, »zwischen
der Entdeckung der Insel und meiner Ankunft lagen ja viele Stunden.
Und eine Stunde ist lang, wenn man allein auf einem Schiffe steht und
ganz ungestört seinen Gedanken nachhängen kann. Und unser Plan
eines wirklich modernen Staates auf breitester, demokratischer
Grundlage, aber mit dem Prinzipe der größten persönlichen Freiheit
war ja schon lange fertig.«
»Wer ist »wir«?«
»Mein Freund Silberland, ein Journalist und radikaler Politiker aus
München, ein kluger Mensch, der unendlich viel in seinem Leben
gearbeitet hat und dem es immer schlecht gegangen ist, und ich. In
meiner Münchener Zeit sind wir oft nächtelang im Café
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.