Phantasten | Page 4

Erich von Mendelssohn
geblieben und habe
sie für das Deutsche Reich in Besitz genommen. Die Sache ist
Geheimnis, nur der Kapitän und der Erste Offizier von der »Prinzessin
Irene« wissen davon, und die schweigen.
Wo die Insel liegt, usw., kannst du von diesen beiden Herren erfahren.
Bitte geh sofort nach Berlin, zum Reichskolonialamt, und laß mir eine
unbeschränkte Vollmacht als Reichskommissar ausstellen, so daß ich
bis auf weiteres mit der Insel machen kann, was ich will. Die Leute
sollen aber schweigen, bis erst feststeht, ob die Insel bewohnbar ist
oder nicht. Sonst ist die Blamage nachher zu groß. Du gibst natürlich
sofort deine alberne Stellung bei den »Neuesten« auf und kommst mit
der »Prinzessin Irene« hierher. Ein Scheck auf zehntausend Mark liegt
bei: bezahl alle deine Schulden, daß du vollständig unabhängig bist.
Mach sonst aber nicht zu viele Ausgaben, denn ich werde hier mein
Geld wohl sehr nötig brauchen. Eine Tropenausrüstung mußt du aber
haben.
Du verstehst, was ich will: ich denke an unsere Gespräche über den
absolut korrekten Staat, der durch keinerlei Traditionen und
Rücksichten gehemmt ist. Wir haben ja oft darüber debattiert, wie ein
solcher moderner Staat auszugestalten sei - hier können wir ihn
gründen, wenn auch nur in einem kleinen Maßstabe.
Alle Einzelheiten überlasse ich dir, nur besorge mir die Vollmacht und
komm her. Setz dich aber auch mit dem Kapitän in Verbindung. Der
Mann ist praktisch und wird dich über Einzelheiten informieren.

Entschuldige die Kürze. Ich kann dir aber in dieser Eile nicht alle
meine Gedanken auseinandersetzen; es ist wohl auch unnötig,
eigentlich ergibt sich ja alles von selbst.
Überlege dir aber jeden Schritt, den du tust.
Gruß dein Paul S.«
Als Jakob Silberland diesen Brief zu Ende gelesen hatte, fuhr er sich
mehrmals mit der Hand durch das lange, schwarze Haar. Dann rührte er
bedächtig seinen Kaffee um, der längst kalt geworden war. Gerade, wie
er ihn trinken wollte, kam der Kellner und sagte:
»Herr Doktor, die Redaktion fragt am Telephon, ob Sie noch hier
wären.«
»Sagen Sie, ich wäre gegangen«, gab Silberland zur Antwort, »und
bringen Sie mir eine Zigarre.«
»Wie gewöhnlich eine zu Zehn?«
»Ja - nein, eine zu Fünfzig!« sagte Jakob Silberland würdevoll. »Und
besorgen Sie mir ein Auto.«
»Sehr wohl, Herr Doktor«, sagte der Kellner mit der solchen
ungewohnten Aufwendungen zukommenden Ehrerbietung.
Jakob Silberland aber fuhr, die feine Zigarre in der Hand, im Auto zur
Dresdener Bank, wo er den Scheck einlöste, und unternahm dann eine
längere Rundfahrt durch die Stadt, um alle seine kleinen und größeren
Schulden zu bezahlen, die zusammen kaum zweitausend Mark betrugen.
Zuletzt begab er sich auf seine Redaktion, wo er gegen Stellung eines
Vertreters leicht entlassen wurde, da er kein angenehmer Kollege
gewesen war.
Mit dem Abendschnellzuge fuhr er nach Berlin.

Drei Monate später saßen Paul Seebeck und Jakob Silberland in ihren
blendend weißen Flanellanzügen auf einem Steinblock am Strande,
rauchten ihre kurzen, englischen Pfeifen und sahen der langsam
verschwindenden »Prinzessin Irene« nach. Endlich sagte Jakob
Silberland:
»Etwas Urweltliches liegt über der ganzen Insel: der Vulkan, die
nackten Felsen, der Mangel jeglichen tierischen Lautes - es kommt mir
fast vor, als ob ich um viele Millionen von Jahren in der Zeit
zurückversetzt sei. Es würde mich gar nicht wundern, wenn plötzlich
ein Ichthyosaurus oder sonst irgend ein Ungeheuer aus dem Wasser
auftauchte.«
Paul Seebeck hatte nachdenklich seine Pfeife ausklopfend ihm zugehört.
Jetzt hob er den Kopf und sagte lächelnd:
»Die Ungeheuer wirst du schon noch zu sehen bekommen. Nur etwas
Geduld.«
Jakob Silberland lachte:
»Hast du hier eine Ichthyosauren-Farm angelegt? Das Geschäft dürfte
doch kaum lohnend sein. Sobald die Zoologischen Gärten versorgt sind,
würde der Weltbedarf gedeckt sein, und was dann?«
Es zuckte um Seebecks Mundwinkel, als ob er mit Mühe ein Lächeln
unterdrückte.
»Aber wovon wollen wir hier sonst leben, wenn nicht von
Ichthyosauren? Es gibt ja keinen Grashalm auf der ganzen Insel, keinen
Vogel, keinen Floh, nichts. Soweit ich als gebildeter geologischer Laie
urteilen kann, ist auch das Vorkommen von wertvollen Mineralien zum
mindesten höchst unwahrscheinlich. Da bleiben doch nur die
Ichthyosauren übrig. Außerdem finde ich den Gedanken sehr
ansprechend, daß der modernste aller Staaten von urweltlichen Tieren
lebt. Damit schließt sich zurückgreifend der Ring und löscht die Zeit
aus. Anfang und Ende berühren sich.«

Jakob Silberland sprang auf:
»Ist das dein Ernst?«
Seebeck blieb sitzen und sagte gemütlich:
»Du sollst etwas Geduld haben. Ich werde dir meine Saurierfarm schon
zeigen. Die größte Ichthyomuttersau habe ich übrigens voll
Dankbarkeit gegen das gütige Schicksal »Prinzessin Irene« getauft.«
Damit stand er auf und ging zu seinem Zelt, das einige Schritte
rückwärts im Schutze einer schrägen Felswand stand. Er kam mit
einigen Papierrollen zurück.
»Sieh mal her«, sagte er, indem er die Blätter entfaltete und jedes an
den vier Ecken mit Steinchen beschwerte, »hier habe ich, so gut ich es
allein machen konnte, die Insel aufgenommen. Die Küste und diese
Bucht habe ich
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