Phäenomenologie des Geistes | Page 8

Georg Wilhelm Friedrich Hegel
seine Entwicklung und somit
die Ergänzung seiner Mangelhaftigkeit sein, wenn sie sich nicht darin
verkännte, daß sie ihre negative Seite allein beachtet, und ihres
Fortgangs und Resultates nicht auch nach seiner positiven Seite bewußt
wird.--Die eigentliche positive Ausführung des Anfangs ist zugleich
umgekehrt ebensosehr ein negatives Verhalten gegen ihn, nämlich
gegen seine einseitige Form, erst unmittelbar oder Zweck zu sein. Sie
kann somit ebensosehr als die Widerlegung desjenigen genommen
werden, was den Grund des Systems ausmacht, besser aber als ein
Aufzeigen, daß der Grund oder das Prinzip des Systems in der Tat nur

sein Anfang ist.
Daß das Wahre nur als System wirklich, oder daß die Substanz
wesentlich Subjekt ist, ist in der Vorstellung ausgedrückt, welche das
Absolute als Geist ausspricht,--der erhabenste Begriff, und der der
neuern Zeit und ihrer Religion angehört. Das Geistige allein ist das
_Wirkliche_; es ist das Wesen oder _An-sich-seiende_,--das sich
Verhaltende oder Bestimmte, das Anderssein und _Für-sich-sein_--und
in dieser Bestimmtheit oder seinem Außer-sich-sein in sich selbst
Bleibende;--oder es ist _an und für sich_.--Dies An-und-für-sich-sein
aber ist es erst für uns oder an sich, oder es ist die geistige Substanz. Es
muß dies auch _für sich selbst_--muß das Wissen von dem Geistigen
und das Wissen von sich als dem Geiste sein; das heißt, es muß sich als
Gegenstand sein, aber ebenso unmittelbar als vermittelter, das heißt
aufgehobener, in sich reflektierter Gegenstand. Er ist _für sich_ nur für
uns, insofern sein geistiger Inhalt durch ihn selbst erzeugt ist; insofern
er aber auch für sich selbst für sich ist, so ist dieses Selbsterzeugen, der
reine Begriff, ihm zugleich das gegenständliche Element, worin er sein
Dasein hat; und er ist auf diese Weise in seinem Dasein für sich selbst
in sich reflektierter Gegenstand.--Der Geist, der sich so als Geist weiß,
ist die Wissenschaft. Sie ist seine Wirklichkeit und das Reich, das er
sich in seinem eigenen Elemente erbaut.
Das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein, dieser Äther als
solcher, ist der Grund und Boden der Wissenschaft oder das Wissen im
Allgemeinen. Der Anfang der Philosophie macht die Voraussetzung
oder Foderung, daß das Bewußtsein sich in diesem Elemente befinde.
Aber dieses Element hat seine Vollendung und Durchsichtigkeit selbst
nur durch die Bewegung seines Werdens. Es ist die reine Geistigkeit,
oder das Allgemeine, das die Weise der einfachen Unmittelbarkeit hat.
Weil es die Unmittelbarkeit des Geistes, weil die Substanz überhaupt
der Geists ist, ist sie die _verklärte Wesenheit_, die Reflexion, die
selbst einfach oder die Unmittelbarkeit ist, das Sein, das die Reflexion
in sich selbst ist. Die Wissenschaft von ihrer Seite verlangt vom
Selbstbewußtsein, daß es in diesen Äther sich erhoben habe, um mit ihr
und in ihr leben zu können und zu leben. Umgekehrt hat das
Individuum das Recht zu fodern, daß die Wissenschaft ihm die Leiter
wenigstens zu diesem Standpunkte reiche. Sein Recht gründet sich auf
seine absolute Selbstständigkeit, die es in jeder Gestalt seines Wissens

zu besitzen weiß, denn in jeder, sei sie von der Wissenschaft anerkannt
oder nicht, und der Inhalt sei welcher er wolle, ist es die absolute Form
zugleich oder hat die _unmittelbare Gewißheit_ seiner selbst; und,
wenn dieser Ausdruck vorgezogen würde, damit unbedingtes Sein.
Wenn der Standpunkt des Bewußtseins, von gegenständlichen Dingen
im Gegensatze gegen sich selbst und von sich selbst im Gegensatze
gegen sie zu wissen, der Wissenschaft als das Andre gilt--das, worin es
bei sich selbst ist, vielmehr als der Verlust des Geistes--, so ist ihm
dagegen das Element der Wissenschaft eine jenseitige Ferne, worin es
nicht mehr sich selbst besitzt. Jeder von diesen beiden Teilen scheint
für den andern das Verkehrte der Wahrheit zu sein. Daß das natürliche
Bewußtsein sich der Wissenschaft unmittelbar anvertraut, ist ein
Versuch, den es, es weiß nicht von was angezogen, macht, auch einmal
auf dem Kopfe zu gehen; der Zwang, diese ungewohnte Stellung
anzunehmen und sich in ihr zu bewegen, ist eine so unvorbereitete als
unnötig scheinende Gewalt, die ihm angemutet wird, sich
anzutun.--Die Wissenschaft sei an ihr selbst, was sie will, im
Verhältnisse zum unmittelbaren Selbstbewußtsein stellt sie sich als ein
Verkehrtes gegen es dar, oder weil das unmittelbare Selbstbewußtsein
das Prinzip der Wirklichkeit ist, trägt sie, indem es für sich außer ihr ist,
die Form der Unwirklichkeit. Sie hat darum jenes Element mit ihr zu
vereinigen, oder vielmehr zu zeigen, daß und wie es ihr selbst angehört.
Der Wirklichkeit entbehrend, ist sie nur das _An-sich_, der Zweck, der
erst noch ein Innres, nicht als Geist, nur erst geistige Substanz ist. Sie
hat sich zu äußern und für sich selbst zu werden, dies heißt nichts
anders als: sie hat das Selbstbewußtsein als eins mit sich zu setzen.
Dies Werden der _Wissenschaft überhaupt_, oder des Wissens, ist es,
was diese _Phänomenologie_ des Geistes, als der erste Teil des
Systems derselben, darstellt. Das Wissen, wie es zuerst ist, oder der
unmittelbare Geist ist das Geistlose, oder ist das _sinnliche
Bewußtsein_.
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