es der Sektionschef, der ebenfalls eine heikle
Aufgabe für sie hatte. Marianne nämlich hatte eine Neigung zu einem
jungen Maler gefaßt; Georg Ingbert war sein Name. Er stand noch ganz
im Dunkeln, und wie es auch mit seinem Talent beschaffen sein mochte,
Ehrgeiz oder Ungeduld, sich geltend zu machen, besaß er nicht. Er war
im Gegenteil voll Gelassenheit, und dieser Gelassenheit war eine bei
einem Mann seltene Anmut beigegeben, Anmut des Geistes, des
Herzens und des Körpers. Wenn man ihn und Marianne sah, konnte
man sie nicht anders als miteinander verbunden denken.
Während nun Frau von Friesheim die Liebe dieser beiden mit
auffallender Nachsicht betrachtete, erblickte der Sektionschef ein
Unglück für seine Tochter darin. Eduards Leidenschaft erschien ihm als
eine flüchtige Verirrung, und er meinte, wenn man ihm nur Zeit lasse
und nicht durch Widerstand seinen Trotz errege, werde die Vernunft
siegen. Marianne sah er tiefer verstrickt; er kannte die Treue ihrer
Natur und, bei aller Mildheit, die Kraft ihres Gefühls. Er schätzte die
Künstler gering; die meisten waren Schmarotzer nach seiner Meinung.
Und er forderte, Olivia solle Marianne dazu bringen, daß sie dem Maler
entsage.
Olivia antwortete ihm, hierzu fühle sie sich nicht berechtigt, und als
seine Versuche dringlicher wurden, bot sie viel Beredsamkeit auf, um
ihn zu überzeugen, daß man zwei Menschen, die durch Bestimmung
zusammengeführt worden, nicht voneinander reißen könne, ohne ihren
Lebenskern zu verwunden. Er bestritt dieses, unerschöpflich in
Gründen, Olivia blieb standhaft und entwaffnete ihn durch ihre heitere
Ruhe; schließlich schien es, als bereite ihm das Wortgefecht an sich
selber Freude und als vergesse er den ernsthaften Anlaß. Wenn er mit
ihr rede, bekannte er einmal, komme es ihm allerdings vor, als sei es
am besten, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, und doch dürfe es
nicht sein, um keinen Preis werde er sich fügen. Olivia schaute ihn an,
und als sie seinen finstern Blick sah, erschrak sie und wurde in ihrem
bisherigen Urteil über ihn ein wenig irre.
Sie ging mit der Familie aufs Land, auch der Maler kam zu Besuch. Sie
begleitete Ingbert und Marianne auf ihren Spaziergängen und
ermunterte Eduard, mitzugehen, um jenen die Gelegenheit zu
verschaffen, miteinander zu sprechen. In einem benachbarten Ort
wohnte Anita Gröger, Eduards Geliebte, und er bat Olivia, sie möge die
Frau kennen lernen. Sie ließ sich zu ihr führen, und er merkte ihr an,
daß ihr die Frau nicht gefiel. Da er sie um Offenheit drängte, gestand
sie es zu; die Frau sei ihr unheimlich, sagte sie. »Ich fürchte, Anita wird
Sie nicht glücklich machen,« äußerte sie ein anderes Mal zögernd.
Eduard war bestürzt und kam immer wieder darauf zurück. Sie bereute
ihre Voreiligkeit, doch sie hatte seinen eigenen Zweifeln Nahrung
gegeben. Wenn er bei Anita gewesen war, suchte er Olivias Nähe;
Anita begann ihr zu mißtrauen und quälte Eduard durch ihre Eifersucht.
Es gab verschwiegene Zusammenkünfte zu zweien und zu dreien,
lebhafte Auseinandersetzungen, Briefe wurden getauscht, und bald sah
sich Olivia bedenklich verstrickt, da Eduards Herz sich ihr
entschiedener zuwandte.
Nun mußte sie abwehren, und sie tat es begütigend. Es war ihr alles ein
Spiel. Eduard war ihr im Innersten fremd; seine Freundschaft mochte
sie aber nicht missen. Er war klug, ehrenhaft und verläßlich. Sie spürte,
daß sie ihm ein Gleichnis gegen die andere war, und daß die andere
dabei verlor. So stellte sie sich in den Schatten und floh, wenn er sie
suchte. Ingbert merkte, was zwischen ihr und Eduard vorging. Sie
wollte seinen Rat haben, doch er war zurückhaltend und hörte mit
seinem reizenden Lächeln zu.
Eines Abends saß sie mit Ingbert am Waldrand; Marianne war
bettlägerig, Eduard war für ein paar Tage verreist. Sie sprachen über
die beiden, über die Eltern, über das Leben im Hause; plötzlich sagte
Ingbert, der Zustand, in dem er sich befinde, schmerze ihn, er enthalte
etwas Vergebliches und Künstliches, da er doch genau wisse, daß
Marianne ihm niemals angehören würde. Als Olivia widersprechen
wollte, legte er seine Hand auf ihre und fuhr fort, es sei kein Trost
vonnöten, er beklage sich ja nicht, er klage auch nicht an; daß Herr von
Friesheim gegen ihn eingenommen sei, begreife er, doch getraue er sich,
den Kampf gegen ihn aufzunehmen; jede äußere Schwierigkeit sei
überwindlich. Es liege nicht an dem; es liege an ihm selbst. Er sei der
Freiheit versprochen, damit steige oder falle sein Stern.
»Fragen Sie nicht, warum es dann so weit gekommen ist,« schloß er
leise; »das Herz geht seinen Weg, das Schicksal geht einen andern Weg.
Das Herz läßt sich verführen, die innere Stimme schweigt lange. Auf
einmal aber spricht sie, und man steht sündig da und will doch nicht
noch mehr sündigen.«
Olivia wußte nichts zu erwidern. Sie ging ins Haus, setzte sich an
Mariannes Bett und nahm ihre Hand. Wäre es nicht dunkel im Zimmer
gewesen, Marianne hätte ihre Blässe und Erregung merken müssen.
Ingbert war
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