Olivia oder Die unsichtbare Lampe | Page 2

Jakob Wasserman
Tod.
Tag für Tag setzte sie sich hin und schrieb ihm einen Brief. Sie teilte
ihm die kleinen Ereignisse ihres Lebens mit, erzählte von der Mutter
und von Ferdinand, sprach von ihren Vorsätzen, von ihrem Eifer, zu
lernen, von ihrem Wunsch, etwas zu werden und ihm Ehre zu machen.
Da sie aber keine Adresse wußte, sammelte sie alle Briefe in einer
Mappe, -- so lange, bis sie endlich begriff.
* * * * *
Die großen Einnahmen des Professors waren von dem luxuriösen
Haushalt verschlungen worden; nach seinem Tod blieb nur ein
bescheidenes Kapital übrig, und Frau Khuenbeck sah sich zur
Sparsamkeit gezwungen.
Bei der Ordnung der Vermögensangelegenheiten und des neuen Lebens
war es Robert Lamm, der der Witwe als Freund zur Seite stand. Frau
Khuenbeck hatte einen an Furcht grenzenden Respekt vor ihm. Auf
Ferdinands Erziehung übte er einen entscheidenden Einfluß, während
er Olivias Tun und Lassen gleichmütiger zu betrachten schien.
Robert Lamm hatte in wenigen Jahren eine bedeutende Laufbahn
zurückgelegt, die selbst von Übelwollenden seinen Verdiensten
zugerechnet wurde. Er war Hofrat am Verwaltungsgerichtshof, hatte
beneidete Auszeichnungen erhalten und genoß als juristischer
Schriftsteller den Ruf einer Autorität.
Sein Wesen verkündete Mut und Entschlossenheit; er war der
Schrecken ganzer Heere von Beamten, denn ihm war eine seltene Kraft

eigen, nämlich eine Sache, die er für gut und gerecht hielt,
durchzusetzen.
Von früh an atmete Olivia gern die Luft um diese ehrliche, furchtlose
und derbe Persönlichkeit. Sie kam ihm herzlich entgegen, und er hatte
immer ein herzliches Wort für sie. Während er mit der Mutter sprach,
stand sie in seiner Nähe; lächelte er ihr zu, so ging sie hin und lehnte
sich an seine Schulter.
Aber als sie zum Fräulein heranwuchs, wurde er förmlicher. Er hörte
plötzlich auf sie zu duzen; Olivia erhob Einwände. Er verbeugte sich
und sagte, wenn sie es ausdrücklich verlange und die gnädige Frau, er
verbeugte sich gegen Frau Khuenbeck, es erlaube, werde er sie wieder
duzen, doch dürfe es keine einseitige Freiheit bleiben, sie müsse ihn
dann ebenfalls duzen. »Aber ich habe es ja immer getan!« rief Olivia
erstaunt. -- »Gewiß, nur paßt mir der Onkel nicht,« erwiderte er mit
einer Grimasse, »ich hasse die Onkels.«
So nannte sie ihn also Robert und Du. Gleichwohl behielt er seine
Förmlichkeit bei, die den Charakter spöttischer Galanterie annahm, als
ihm manches an Olivias Lebensführung zu mißfallen begann. Sie war
so eifervoll, so lernwütig, so auf Bücher versessen, so atemlos tätig, das
mißfiel ihm; er äußerte sich nicht darüber, er wurde nur immer
spöttischer und galanter.
Eines Abends kam er, als Olivia bei einem Buch saß. Er beugte sich
über ihre Schulter, sah noch genauer hin, schüttelte den Kopf, und da
ihn Olivia fragend anschaute, nahm er das Buch, blätterte, schüttelte
abermals den Kopf und fragte endlich: »Wie alt bist du denn jetzt?«
»Siebzehn war ich,« antwortete Olivia. Ihr Haar leuchtete wie Gold im
Lichte der Lampe.
»Siebzehn Jahre, und Plato im Original!« rief der Hofrat aus. Sein
Gesicht war so traurig, daß Olivia lachen mußte.
»Und womit sie ihren Kopf sonst noch plagt«, mischte sich die Mutter
ins Gespräch; »Mathematik und Philosophie und Literatur und

Geschichte und Klavierspiel und Vorträge, wahrhaftig, mir schwindelt,
wenn ich zusehe.«
So oft nun der Hofrat da war, hatte er immer denselben Blick für Olivia,
in dem zugleich Kritik und Bedauern lag. Der Blick sagte: was soll es
dir nützen, Mädchen, Plato im Original zu lesen? Wozu schlingst du
tote Wissenschaft in dich hinein? Was sollen dir die Scharteken?
Wahrscheinlich wußte er zu wenig von der Jugend, mit der Olivia
aufwuchs; von ihrem Heißhunger nach neuem Stoff und neuer Form,
nach Gehalt und Entfaltung. Dies Geschlecht mußte sich alles ertrotzen,
Arbeit und Genuß, Urteil und Zukunft, wenn es den Erbübeln des
Landes und der Rasse nicht erliegen wollte: der Frivolität und der
Trägheit. Verloren sie in ihrem Trieb, sich hinzugeben, das Maß, so
durften sie doch die Vorsichtigen verachten, die bequemen Romantiker,
die feigen Hüter des Herkömmlichen.
Er wußte nichts von dieser Jugend, sah nicht Lebensfülle und
hoffnungsvolles Werden, sondern Übergriff und Eitelkeit. Einst kam er
zu Frau Khuenbeck und war enttäuscht, Olivia nicht zu treffen. Sie war
ins Konzert gegangen. »Es ist das zweite in dieser Woche,« sagte Frau
Khuenbeck; »und einmal Theater, und einmal eine Bilderausstellung,
und am Sonntag auf den Schneeberg. Sie ist nicht zu halten, ich weiß
nicht, wo sie die Zeit und die Kraft zu allem hernimmt.«
»Und das da auch noch,« sagte der Hofrat, und deutete auf einen
Tennisschläger und ein Paar weiße Schuhe, die auf einem Stuhle lagen.
»Ja, das auch,« antwortete Frau Khuenbeck. Als sie das finstere Gesicht
des Hofrats gewahrte, fügte sie rasch hinzu: »Aber es ist nicht
Vergnügungssucht, wie Sie vielleicht meinen, es ist etwas anderes. Sie
ist von allem, was sie macht, so voll und tut alles, was sie tut, so
freudig, daß man
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