oder Die unsichtbare Lampe, by
Jakob Wassermann
Project Gutenberg's Olivia oder Die unsichtbare Lampe, by Jakob
Wassermann This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost
and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it
away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License
included with this eBook or online at www.gutenberg.org
Title: Olivia oder Die unsichtbare Lampe
Author: Jakob Wassermann
Release Date: June 18, 2007 [EBook #21860]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK OLIVIA
ODER DIE UNSICHTBARE LAMPE ***
Produced by Markus Brenner and the Online Distributed Proofreading
Team at http://www.pgdp.net
Olivia oder Die unsichtbare Lampe
Erzählung von
Jakob Wassermann
Im Hause des Professors Khuenbeck, eines angesehenen Wiener Arztes,
war große Gesellschaft. Man hatte reich getafelt, die Unterhaltung war
im besten Fluß, und wie auf viele andere Dinge kam die Rede auch auf
die Kinder. Eine Dame, die vor kurzem das Töchterchen des Hauses
flüchtig gesehen hatte, rühmte dessen besondere Schönheit und
Lieblichkeit. Frau Khuenbeck lächelte geschmeichelt, einige andere
Damen gaben ihr Verlangen kund, das Mädchen zu sehen, den Hinweis
auf die späte Stunde ließen sie nicht gelten, und sie wandten sich an
den Professor, der, unschlüssig und wie beschämt, nicht wußte, wie er
die Bitte aufnehmen sollte. Indessen hatte Frau Khuenbeck, die einer
eitlen Regung nicht zu widerstehen vermochte, einem der Dienstboten
einen Wink gegeben und ging dann selbst in das Zimmer, wo ihre
beiden Kinder schliefen, der zweijährige Ferdinand und die
sechsjährige Olivia.
Schon saß Olivia auf dem Schoß des Dienstmädchens, die Augen voll
Schlaf; es wurde ihr ein Atlaskleidchen angetan, die Haare wurden ihr
gekämmt, weiße Strümpfe und weiße Schuhe kamen an die Beinchen,
und so trug sie die Mutter in die strahlend erleuchteten Räume hinüber.
Die Gäste scharten sich um Mutter und Kind; ein Laut der
Überraschung und Befriedigung tönte ihnen entgegen. Olivia blickte
voll Angst und Zagen in die vielen fremden Gesichter, deren Neugierde
und Erstaunen ihr unbegreiflich waren.
Abseits von allen stand ein junger Mann und schaute still auf die
Gruppe. Er dachte, daß der Professor dem Schauspiel ein Ende bereiten
werde; da dies aber nicht geschah, rief er plötzlich mit scharfer, ja
barscher Stimme aus: »Gnädige Frau, stecken Sie doch den armen
Wurm wieder ins Bett; den Rummel wird er ohnedies bald genug
kennen lernen.«
Alle lachten; Frau Khuenbeck errötete und trug das Kind schnell
hinaus.
Olivia hatte die Worte gehört und verstanden; sie bewahrte dem, der sie
gesprochen, heimlichen Dank. Der junge Mann verkehrte oft im Hause;
bald wußte sie seinen Namen; er hieß Robert Lamm und war damals
noch ein unbeachteter Beamter im Ministerium.
Stets, wenn sie ihn sah, hatte sie dasselbe Dankgefühl; in Stunden
kindlicher Bedrängnis tauchte ihr sein Bild als das eines Helfers auf. Er
war die Verkörperung einer strengeren Schutzgottheit neben der
sanften des Vaters.
* * * * *
Wenn der Professor an seinem Schreibtisch saß, geschah es oft, daß
sich Olivia ins Zimmer stahl, sich ganz leise auf den Teppich zu seinen
Füßen niederließ und in Büchern und in Heften blätterte, die auf dem
Boden aufgeschichtet lagen. Meist bemerkte sie der Professor erst,
wenn er die Feder weglegte und sich erhob; dann sagte er: »Du bist da,
Kind?« und lächelte. Olivia war glücklich, daß es ihr gelungen war, ihn
nicht zu stören.
Manchmal machte er kleine Spaziergänge im Park, dann nahm er
Olivia mit und führte sie an der Hand. Verwundert betrachteten die
Leute das schöne Kind. Olivia glaubte jedoch immer, daß sie nach dem
Vater sahen, der so nachdenklich und voll Würde dahinschritt. Sie war
stolz auf ihn.
Einst hatte Olivia die Mutter belogen. Sie war mit dem Fräulein im
Prater gewesen und hatte gesagt, sie sei bei ihrer Tante, Frau von
Scheyern, gewesen. Ihr Bruder Ferdinand hatte sie in aller Unschuld
verraten. In der Entrüstung darüber forderte die Mutter, daß sie zur
Strafe in einer Ecke knien sollte. Olivia weigerte sich aber mit solcher
Leidenschaft, daß die Mutter immer mehr in Zorn geriet. Da kam der
Professor in die Stube; ihn sehen und an seinen Hals stürzen, war für
Olivia eins; sie wollte nicht knien, schluchzte sie und klammerte sich
so krampfhaft an den Vater, daß der erschrockene Mann alle Mühe
hatte, sie zu beruhigen.
Etwa ein Jahr nach diesem Vorfall, Olivia war damals elf Jahre alt, trat
der Professor eine Erholungsreise nach Italien an. Olivia empfand seine
Abwesenheit schmerzlich, und jeden Morgen setzte sie sich hin und
schrieb ihm einen Brief. In Neapel wurde der Professor schwer krank
und starb eines plötzlichen Todes.
Olivia begriff es nicht. Der Leichnam kam, die Beerdigung fand statt,
viele Leute waren im Haus, die Mutter weinte, der Bruder, die
Verwandten weinten, Olivia begriff es nicht. Für sie war der Vater
immer noch verreist; sie glaubte und begriff nicht seinen
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.