die Geschwister z?gerten, die Tour ohne Olivia fortzusetzen, sagte er, er wolle allein seiner Wege gehen. Um sich zu verabschieden, kam er in Olivias Zimmer und fand sie in tiefem Nachdenken. Sie gab ihm die Hand, und als sie spürte, da? er ihren Blick forderte, sah sie ihn an. Ein wortloses Einanderbegreifen hatte sich zwischen ihnen schon seit langem entfaltet. Der bekümmerte Ausdruck in seinem klugen, ernsten Gesicht ging ihr nahe. Ehe sie es bedacht hatte, zog sie seinen Kopf herab und kü?te ihn. Er err?tete wie ein Knabe, seine Verwirrung erfüllte sie mit noch gr??erer Liebe, er drückte seine Lippen auf ihre Hand und verlie? sie stumm.
Es trieb sie zu Robert hin, und wenn sie bei ihm war, erschien sie sich treulos gegen Eduard und Marianne. Und wenn sie bei Eduard und Marianne war, peinigte sie deren argloses Wesen, und die beiden Menschen waren ihr verdunkelt und entrückt. Marianne, die über Ingberts Flucht unglücklich war und Pl?ne schmiedete, wie man ihn noch erreichen k?nnte, nahm Olivias ver?ndertes Betragen nicht schwer und war offen und anschmiegend wie immer; Eduard jedoch deutete alles auf sich und sein Verh?ltnis zu Olivia. Seine Erregung wuchs, er suchte eine Aussprache herbeizuführen, er bat sie schlie?lich, ihm den Grund ihrer r?tselhaften Abkehr mitzuteilen. Sie erschrak; sie leugnete. Er ging nicht weiter darauf ein und sagte, da? er mit Anita Gr?ger gebrochen habe. Sie wu?te, was nun folgen würde, sie hatte Angst davor, und mit einer K?lte, die ihn bleich machte, verbot sie ihm, davon zu sprechen. Da gingen sie auseinander.
Am selben Abend schlug ihr Robert Lamm vor, sie solle mit ihm nach Hause reisen. Sie willigte ein, ihn bis Salzburg zu begleiten, wo ihre Mutter sie erwartete. Zu Eduard und Marianne sagte sie, die Mutter habe ihr geschrieben und sie gerufen. Sie umarmte Marianne mit dem Gefühl einer Trennung für immer, Eduard schaute sie starr an, und so oft sie nachher an sein verst?rtes Gesicht dachte, wurde ihr weh zumute, und sie h?tte die Erinnerung ausl?schen m?gen.
Gegen den Hofrat war sie einsilbig, er seinerseits sprach nur von gleichgültigen Dingen. Sie grollte ihm, wagte sich aber dem Groll nicht zu überlassen; sie vermied es, seinem Blick zu begegnen, der w?hrend der langen Eisenbahnfahrt zuweilen prüfend auf ihr ruhte, und als sie von Innsbruck ab allein im Coupé waren, brach sie selbst das Schweigen aus unbestimmter Angst. Sie begann von Menschen zu sprechen, die sie beide kannten und von denen sie annahm, da? er sie sch?tzte. Sie redete sich in Eifer, entschuldigte Gewohnheiten und Handlungen dieser Menschen und übertrieb ihre Vorzüge, als seien sie von ihm angegriffen worden. Er h?rte mit scheinbarem Anteil zu, nickte manchmal ermunternd und schaute in die Landschaft.
Da erschien ihr alles falsch und einf?ltig, was sie sagte, sie mochte die sch?nen Gegenden nicht betrachten, durch die sie fuhren, und sie fühlte mit Betrübnis, da? sie all dieses Sch?ne nicht mehr so liebte wie sie es bisher geliebt. Es war, als h?tte Robert Lamm einen Schleier darüber gezogen, und als sei es fruchtlos, sich gegen die stumme Gewaltt?tigkeit, die er an ihr übte, zu wehren. Desungeachtet zwang es sie, ihn kurz vor dem Ziel ihrer Reise zu fragen, ob sie ihn nach ihrer Rückkehr in die Stadt sehen werde. Sie h?tte aufgeatmet, wenn er nein gesagt oder eine Ausflucht gebraucht h?tte. Er antwortete: ?Freilich will ich dich sehen.? Und als sie schwieg, fügte er düster l?chelnd hinzu: ?Vielleicht brauch' ich dich.?
Sie war ?ngstlich verwundert. ?Brauchen? Du -- mich??
?Kommt dir das so unglaublich vor?? Er lachte über ihr hilfloses Gesicht. Pl?tzlich, der Zug fuhr schon in die Halle, beugte er sich nahe zu ihr, ergriff ihre beiden H?nde und sagte mit jener Eindringlichkeit, die sie bei keinem andern Menschen als bei ihm wahrgenommen hatte: ?Ich k?mpfe gegenw?rtig einen Kampf, in dem für mich alles auf dem Spiel steht. Ich k?mpfe für die Ehre eines Toten, für die Rettung seines guten Namens, für sein Weib und seine Kinder. Sie wollen ein Verbrechen, das begangen worden ist, vertuschen, wollen die ungeheuerlichste Niedertracht, die sich denken l??t, nicht verantworten. Das darf nicht geschehen, verstehst du? Es darf nicht geschehen, obwohl ?hnliches schon tausendmal geschehen ist. Aber bei diesem einen Mal hab' ich mir in den Kopf gesetzt: es darf nicht sein. Geschieht es trotzdem, dann bin ich fertig mit der Wirtschaft. Dann komm zu mir, Olivia, dann haben wir vielleicht einiges miteinander zu reden. Leb' wohl, grü?' mir die Mutter.?
Sie stieg aus, aber am liebsten h?tte sie jetzt mit ihm weiterfahren m?gen. Schw?che kam über sie, ihr ganzes Denken und Gefühl war dunkler gef?rbt. Alles, was sie vorhatte, Arbeiten und Vergnügungen, dünkte ihr pl?tzlich falsch und einf?ltig. Drei Tage sp?ter fuhr sie mit der Mutter in die Stadt zurück, und einen Tag nach der Ankunft ging sie zu Robert Lamm.
* * * * *
In Riedach, einem kleinen ober?sterreichischen
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