als sie verneinte, gab er ihr eine Tafel Schokolade. Zuerst angeregt, schien er pl?tzlich wieder zerstreut. Dann besch?mte ihn ein forschender Blick Olivias, und er zwang sich zum Reden. Da dies Olivia peinigte, fragte sie ihn geradezu nach dem Grund seiner gestrigen j?hen Verstimmung.
Er bedachte sich kurz und antwortete, er habe schon davon geh?rt, da? sie flei?ig im Hause Friesheim verkehre; die beiden jungen Leute, in deren Begleitung sie sich befinde, seien ja wohl Sohn und Tochter des Sektionschefs. Olivia nickte. Wenn dem so sei, fuhr er fort, erübrigten sich alle Erkl?rungen. Seine Stimme war schneidend, sein Blick finster. Olivia blieb stehen und schaute ihn erstaunt an.
Sie waren auf einem Felsenpfad, ziemlich hoch; zur Linken fiel der Abgrund steil hinunter. Auf einmal fühlte sich Olivia von den H?nden des Hofrats heftig an den Armen gepackt und mit unerwarteter Kraft gegen die Tiefe gedr?ngt. Sie schrie erschrocken, ihr bestürztes Gesicht war ihm zugewendet; da lie? er sie los und lachte grimmig. ?Es ist nicht viel anders, als wenn ich dich da hineinwürfe,? sagte er; ?schlimmer noch. Mit solchen Menschen umgehen, das hei?t, allen Anspruch auf Achtung verwirken und seinen Namen beflecken.?
Mit entsetzten Augen fragte Olivia. ?Du h?ttest dich vorsehen sollen,? begann der Hofrat wieder; ?eine Person wie du ist verpflichtet, Instinkt zu haben und nicht in den Dreck zu steigen, wo er am klebrigsten ist. Dieser Mann, in dessen Gehege du so munter herumspazierst, ist einer unserer verderblichsten Praktikenmacher und Gelegenheitsj?ger, ein Streber und Schleicher von einem Format, da? sogar unsere vielbesungene Gemütlichkeit keinen Reim mehr auf ihn zu finden wei?. Dieser Mann ist imstande, wenn sich zehn f?hige Leute zu einem Posten gemeldet haben, ihn mit dem elften zu besetzen, der g?nzlich unf?hig ist, und nicht vielleicht aus Unwissenheit, nicht immer blo? deshalb, weil der elfte ein Freunderl oder der Freund eines Freunderls ist, sondern aus purem Vergnügen an der Unf?higkeit und aus Bosheit und Neid gegen die F?higen. Dieser Mann ist einer von denen, die nie einen Richter brauchen, weil sie alles Recht so lange verschleppen, bis der Kl?ger ersch?pft und kirre gemacht ist; einer von denen, die mit der Peitsche auf die Pferde einhauen, wenn der Wagen den Berg hinauf soll, und insgeheim den Hemmschuh ans Rad legen. Dieser Mann ist ein Symbol, er ist mein Feind, er ist schlechthin der Feind; ihn unsch?dlich zu machen, habe ich schon meine beste Kraft verschwendet. Und nun geh hin und setz' dich wieder an seinen Tisch und tu, als wü?test du von nichts.?
Er hatte scharf und kalt gesprochen wie ein Sachwalter vor dem Tribunal. Olivia zitterte das Herz; sie ging mit niedergeschlagenen Augen gleich einem gescholtenen Kind. Der Hofrat nahm einen Stein, schleuderte ihn in den Abgrund und lauschte bis das Gepolter verklungen war. Dann lachte er.
?Warum lachst du?? flüsterte Olivia, ohne den Kopf zu erheben.
?Ich lache, weil es so sch?n ist,? antwortete er, ?weil die Sonne so freundlich scheint und der Himmel so blau ist. Und weil unser Herrgott soviel Geduld hat. Und weil die Bowle gestern so vorzüglich war, und weil überhaupt alles so famos ist.?
Pl?tzlich dünkte es Olivia, als sei die ganze Welt grau geworden.
Sie sagte: ?Ich habe bisher nichts von deinem Leben gewu?t, Robert. Ich habe dich für einen Menschen gehalten, der in seinem Beruf glücklich ist.?
Abermals lie? er sein kurzes, h?hnisches Lachen h?ren. Dann schwieg er eine Weile, und sein Gesicht wurde ernst. Darauf fing er an, von seinem Leben zu sprechen, von dem Beruf, in dem sie ihn glücklich w?hnte. Von den Untergebenen und den Vorgesetzten; wie ihn jene l?hmten und diese ihm mi?trauten. Wie nirgends ein Wille galt, nirgends Einsicht des Besseren, nirgends Vernunft, blo? Vorschrift, blo? der Buchstabe, das halbe Ungef?hr, das veraltete Gutdünken, die sinnlose Herrschaft derer vom Schlage Friesheim. Wie jeder Schritt nach vorw?rts auf Fallen sto?e, das wohlwollende Ermessen selbst im engsten Kreis behindert sei durch unangreifbare Idole und lügenhafte Grunds?tze. Wie kein Weg aus diesem Pfuhl führe, an dem nicht die Dummheit Wache hielt, oder die Phrase, oder die Pedanterie, oder die Verleumdung, oder die Bequemlichkeit, oder der Eigennutz, oder der Neid.
Es war Flamme in seinen Worten, dabei auch Witz; eine bissige Schadenfreude, als bereite es ihm Spa?, Illusionen zu zerst?ren.
Und er zerst?rte Illusionen, gründlich. Ein eisiger Hauch wehte durch Olivias Brust. Ihre Augen blickten verloren, ihre Wangen waren bla?; es war, als h?tte sich etwas Schmackhaftes auf ihrer Zunge in Ekles verwandelt, als stünde dort, wo eine frohe Erwartung sie hingezogen, ein Schreckbild. Sie staunte, sie str?ubte sich, sie glaubte nicht und fürchtete doch, zu zweifeln. Alles war pl?tzlich sonderbar anders.
An ihrer Schweigsamkeit merkten Eduard und Marianne, da? etwas mit ihr vorgegangen war. Sie hatten am selben Tag weiter wandern wollen, aber Olivia konnte sich nicht zum Aufbruch entschlie?en und schützte eine Unp??lichkeit vor. Ingbert fühlte sich in dem teuren und eleganten Hotel nicht behaglich, und da
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