Olivia oder Die unsichtbare Lampe | Page 3

Jakob Wasserman
zu dr?ngen, machte h??lich. Auf Sportpl?tzen die Glieder verrenken, die Fü?e durch plumpes Schuhwerk verunstalten und mit groben Stoffen bekleidet sich den Unbilden des Wetters aussetzen, das nannte er ein unerquickliches Schauspiel. Der Sch?nheit flo? alles zu, sie raubte der Natur nichts, sie lie? sich von ihr beschenken, Sch?nheit war einsam, war sich selbst genug, sich selbst Gesetz, und Olivia verging sich gegen das Gesetz.
Er erkaltete gegen Olivia, und seine Besuche wurden immer seltener.
* * * * *
Um diese Zeit wurde Olivia von einer heftigen Schw?rmerei für einen genialen Kapellmeister und Komponisten ergriffen, der wie ein Feuer unter die Gilde der stadtans?ssigen Musiker gefahren war und das Publikum erst unterwarf, als es sich von seinem Staunen über ihn erholt hatte.
Er war mit dem Hofrat Lamm befreundet, und einmal begegnete sie den beiden, die in eifrigem Gespr?ch waren. Der Hofrat grü?te sie und blieb stehen; er machte sie mit dem verg?tterten Manne bekannt. Sie wurde bla?, stammelte ein paar Worte, verstummte und ging dann weiter. Sie hatte seine Stimme geh?rt, und diese Stimme blieb ihr unverge?lich. Die Stimme eines Menschen konnte sie beleidigen und entt?uschen, aber auch beglücken und bezaubern. Seine Stimme hatte ihre Seele tiefer angerührt als irgendeine zuvor.
Im Sommer weilte er auf seiner Besitzung an einem Gebirgssee. Olivia wu?te die Mutter zu überreden, da? sie dort die Ferien verbrachten. An vielen Tagen, in Mondn?chten wandelte sie and?chtig die Pfade, auf denen er gegangen war. Seine pers?nliche N?he suchte sie gar nicht; er war immer so versponnen, so verwühlt, so abgewandt; sie war zufrieden, wenn sie ihn einmal des Tages von ferne sah.
Eines Morgens gewahrte sie ihn zwischen Blumenbeeten. Er glaubte sich unbeobachtet; bei einem Strau? beugte er sich nieder, um zu riechen. Die Z?rtlichkeit der Bewegung hatte für Olivia etwas Au?erordentliches. Von da an schaute sie Blumen mit andern Augen an. Es mu?ten stets Blumen in ihrem Zimmer sein, zu jeder Zeit des Jahres. Sie bego? sie, pflegte sie, freute sich, wenn sie blühten, und trauerte, wenn sie welkten.
Als der Musiker eines frühen Todes starb, gab sie alles Geld, das sie besa?, für Blumen aus und schmückte mit ihnen sein Grab. Die unschuldige und wunschlose Leidenschaft hatte ihr Herz für Menschen noch empf?nglicher gemacht.
Gelehrtes und Gelerntes verlor an Bedeutung gegenüber dem lebendigen Auf und Ab der Schicksale. Freunde zu gewinnen, mit Freunden zu sein, an Freunde sich auszuteilen, war Glück. So wurde sie vielfach in die Geschicke der Menschen verflochten, vielfach beansprucht. Manches, was im Spiel begonnen war, verwandelte sich in bitteren Ernst; Vertrauen wurde mi?braucht, Offenheit verkannt, Güte zurückgesto?en, Wahrheit in Lüge verkehrt. Aber auch dies war für Olivia ein Stück des gro?en Reichtums, waren angefaulte Früchte von dem Baum, der ein überma? der guten gab.
Wie liebte sie die Welt, das Leben, die Stunde! Sie freute sich jeden Morgen über ihr Erwachen, über den Himmel, die Luft, das Licht, die Zeit, über alles, was sie sich vorgesetzt hatte und was andere von ihr erwarteten, über ein Gespr?ch, das sie gestern geführt hatte, einen Spaziergang, den sie heute machen wollte, über ihren eigenen K?rper, über jedes Ding in ihrer Stube.
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Ihre beste Freundin, noch vom Gymnasium her, war Marianne von Friesheim, ein zartes, hochaufgeschossenes M?dchen von ernstem Wesen. Mariannes Vater war ein hoher Regierungsbeamter, Sektionschef und Exzellenz, und durch seine Verheiratung mit der Tochter eines ungarischen Magnaten einer der reichsten M?nner des Landes.
Olivia kam beinahe t?glich ins Haus, und alle, von der Exzellenz bis zum geringsten Dienstboten, bewunderten und verw?hnten sie. Wenn der Sektionschef ins Zimmer trat, wo sie war, ging ein Leuchten über sein rotes, grobes Gesicht; er setzte sich eine Weile zu ihr und plauderte mit ihr. Olivia hatte Sympathie für ihn; er schien ein gütiger Vater und ein wohlwollender Mensch zu sein.
Frau von Friesheim machte Olivia zur Vertrauten ihrer Sorgen. Ihr Sohn Eduard, ein junger Arzt, hatte seit einigen Monaten eine Beziehung zu einer Dame der Gesellschaft, deren mittelpunktloses und unberechenbares Wesen schon manchem ihrer Anbeter verh?ngnisvoll geworden war. Eduard, ohnehin verschlossenen Gemüts und von eigenwilliger Lebenshaltung, wurde durch den Umgang mit dieser Frau den Seinen vollends entfremdet. Nur an der Schwester hing er, und ihr hatte er auch vor kurzem mitgeteilt, da? es sein Vorsatz sei, die geliebte Frau zu heiraten. Hierüber war Frau von Friesheim sehr unglücklich, und als sie bemerkte, da? zwischen Eduard und Olivia ein freundschaftliches Verh?ltnis entstand, legte sie ihr nahe, sie m?ge alles aufbieten, um ihn dem gef?hrlichen Einflu? jener Frau zu entziehen.
Es war eine wunderliche Aufgabe; Olivia mu?te lachen. Auf der anderen Seite war es der Sektionschef, der ebenfalls eine heikle Aufgabe für sie hatte. Marianne n?mlich hatte eine Neigung zu einem jungen Maler gefa?t; Georg Ingbert war sein Name. Er stand noch ganz im Dunkeln, und wie es auch mit seinem Talent beschaffen sein mochte, Ehrgeiz oder Ungeduld, sich geltend zu machen, besa? er nicht.
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