Olivia oder Die unsichtbare Lampe | Page 2

Jakob Wasserman
Mutter und von Ferdinand, sprach von ihren Vors?tzen, von ihrem Eifer, zu lernen, von ihrem Wunsch, etwas zu werden und ihm Ehre zu machen. Da sie aber keine Adresse wu?te, sammelte sie alle Briefe in einer Mappe, -- so lange, bis sie endlich begriff.
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Die gro?en Einnahmen des Professors waren von dem luxuri?sen Haushalt verschlungen worden; nach seinem Tod blieb nur ein bescheidenes Kapital übrig, und Frau Khuenbeck sah sich zur Sparsamkeit gezwungen.
Bei der Ordnung der Verm?gensangelegenheiten und des neuen Lebens war es Robert Lamm, der der Witwe als Freund zur Seite stand. Frau Khuenbeck hatte einen an Furcht grenzenden Respekt vor ihm. Auf Ferdinands Erziehung übte er einen entscheidenden Einflu?, w?hrend er Olivias Tun und Lassen gleichmütiger zu betrachten schien.
Robert Lamm hatte in wenigen Jahren eine bedeutende Laufbahn zurückgelegt, die selbst von übelwollenden seinen Verdiensten zugerechnet wurde. Er war Hofrat am Verwaltungsgerichtshof, hatte beneidete Auszeichnungen erhalten und geno? als juristischer Schriftsteller den Ruf einer Autorit?t.
Sein Wesen verkündete Mut und Entschlossenheit; er war der Schrecken ganzer Heere von Beamten, denn ihm war eine seltene Kraft eigen, n?mlich eine Sache, die er für gut und gerecht hielt, durchzusetzen.
Von früh an atmete Olivia gern die Luft um diese ehrliche, furchtlose und derbe Pers?nlichkeit. Sie kam ihm herzlich entgegen, und er hatte immer ein herzliches Wort für sie. W?hrend er mit der Mutter sprach, stand sie in seiner N?he; l?chelte er ihr zu, so ging sie hin und lehnte sich an seine Schulter.
Aber als sie zum Fr?ulein heranwuchs, wurde er f?rmlicher. Er h?rte pl?tzlich auf sie zu duzen; Olivia erhob Einw?nde. Er verbeugte sich und sagte, wenn sie es ausdrücklich verlange und die gn?dige Frau, er verbeugte sich gegen Frau Khuenbeck, es erlaube, werde er sie wieder duzen, doch dürfe es keine einseitige Freiheit bleiben, sie müsse ihn dann ebenfalls duzen. ?Aber ich habe es ja immer getan!? rief Olivia erstaunt. -- ?Gewi?, nur pa?t mir der Onkel nicht,? erwiderte er mit einer Grimasse, ?ich hasse die Onkels.?
So nannte sie ihn also Robert und Du. Gleichwohl behielt er seine F?rmlichkeit bei, die den Charakter sp?ttischer Galanterie annahm, als ihm manches an Olivias Lebensführung zu mi?fallen begann. Sie war so eifervoll, so lernwütig, so auf Bücher versessen, so atemlos t?tig, das mi?fiel ihm; er ?u?erte sich nicht darüber, er wurde nur immer sp?ttischer und galanter.
Eines Abends kam er, als Olivia bei einem Buch sa?. Er beugte sich über ihre Schulter, sah noch genauer hin, schüttelte den Kopf, und da ihn Olivia fragend anschaute, nahm er das Buch, bl?tterte, schüttelte abermals den Kopf und fragte endlich: ?Wie alt bist du denn jetzt??
?Siebzehn war ich,? antwortete Olivia. Ihr Haar leuchtete wie Gold im Lichte der Lampe.
?Siebzehn Jahre, und Plato im Original!? rief der Hofrat aus. Sein Gesicht war so traurig, da? Olivia lachen mu?te.
?Und womit sie ihren Kopf sonst noch plagt?, mischte sich die Mutter ins Gespr?ch; ?Mathematik und Philosophie und Literatur und Geschichte und Klavierspiel und Vortr?ge, wahrhaftig, mir schwindelt, wenn ich zusehe.?
So oft nun der Hofrat da war, hatte er immer denselben Blick für Olivia, in dem zugleich Kritik und Bedauern lag. Der Blick sagte: was soll es dir nützen, M?dchen, Plato im Original zu lesen? Wozu schlingst du tote Wissenschaft in dich hinein? Was sollen dir die Scharteken?
Wahrscheinlich wu?te er zu wenig von der Jugend, mit der Olivia aufwuchs; von ihrem Hei?hunger nach neuem Stoff und neuer Form, nach Gehalt und Entfaltung. Dies Geschlecht mu?te sich alles ertrotzen, Arbeit und Genu?, Urteil und Zukunft, wenn es den Erbübeln des Landes und der Rasse nicht erliegen wollte: der Frivolit?t und der Tr?gheit. Verloren sie in ihrem Trieb, sich hinzugeben, das Ma?, so durften sie doch die Vorsichtigen verachten, die bequemen Romantiker, die feigen Hüter des Herk?mmlichen.
Er wu?te nichts von dieser Jugend, sah nicht Lebensfülle und hoffnungsvolles Werden, sondern übergriff und Eitelkeit. Einst kam er zu Frau Khuenbeck und war entt?uscht, Olivia nicht zu treffen. Sie war ins Konzert gegangen. ?Es ist das zweite in dieser Woche,? sagte Frau Khuenbeck; ?und einmal Theater, und einmal eine Bilderausstellung, und am Sonntag auf den Schneeberg. Sie ist nicht zu halten, ich wei? nicht, wo sie die Zeit und die Kraft zu allem hernimmt.?
?Und das da auch noch,? sagte der Hofrat, und deutete auf einen Tennisschl?ger und ein Paar wei?e Schuhe, die auf einem Stuhle lagen.
?Ja, das auch,? antwortete Frau Khuenbeck. Als sie das finstere Gesicht des Hofrats gewahrte, fügte sie rasch hinzu: ?Aber es ist nicht Vergnügungssucht, wie Sie vielleicht meinen, es ist etwas anderes. Sie ist von allem, was sie macht, so voll und tut alles, was sie tut, so freudig, da? man es nicht übers Herz bringt, sie zu st?ren.?
Diese Begründung war für den Hofrat ein Schall. Olivia war sch?n; das allein gab ihr Wert in seinen Augen. Alle Beflissenen waren h??lich; Bücher machten h??lich, Wissen machte h??lich, sich unter die Menschen
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