Olivia oder Die unsichtbare Lampe | Page 4

Jakob Wasserman
Er war im Gegenteil voll Gelassenheit, und dieser Gelassenheit war eine bei einem Mann seltene Anmut beigegeben, Anmut des Geistes, des Herzens und des K?rpers. Wenn man ihn und Marianne sah, konnte man sie nicht anders als miteinander verbunden denken.
W?hrend nun Frau von Friesheim die Liebe dieser beiden mit auffallender Nachsicht betrachtete, erblickte der Sektionschef ein Unglück für seine Tochter darin. Eduards Leidenschaft erschien ihm als eine flüchtige Verirrung, und er meinte, wenn man ihm nur Zeit lasse und nicht durch Widerstand seinen Trotz errege, werde die Vernunft siegen. Marianne sah er tiefer verstrickt; er kannte die Treue ihrer Natur und, bei aller Mildheit, die Kraft ihres Gefühls. Er sch?tzte die Künstler gering; die meisten waren Schmarotzer nach seiner Meinung. Und er forderte, Olivia solle Marianne dazu bringen, da? sie dem Maler entsage.
Olivia antwortete ihm, hierzu fühle sie sich nicht berechtigt, und als seine Versuche dringlicher wurden, bot sie viel Beredsamkeit auf, um ihn zu überzeugen, da? man zwei Menschen, die durch Bestimmung zusammengeführt worden, nicht voneinander rei?en k?nne, ohne ihren Lebenskern zu verwunden. Er bestritt dieses, unersch?pflich in Gründen, Olivia blieb standhaft und entwaffnete ihn durch ihre heitere Ruhe; schlie?lich schien es, als bereite ihm das Wortgefecht an sich selber Freude und als vergesse er den ernsthaften Anla?. Wenn er mit ihr rede, bekannte er einmal, komme es ihm allerdings vor, als sei es am besten, dem Schicksal seinen Lauf zu lassen, und doch dürfe es nicht sein, um keinen Preis werde er sich fügen. Olivia schaute ihn an, und als sie seinen finstern Blick sah, erschrak sie und wurde in ihrem bisherigen Urteil über ihn ein wenig irre.
Sie ging mit der Familie aufs Land, auch der Maler kam zu Besuch. Sie begleitete Ingbert und Marianne auf ihren Spazierg?ngen und ermunterte Eduard, mitzugehen, um jenen die Gelegenheit zu verschaffen, miteinander zu sprechen. In einem benachbarten Ort wohnte Anita Gr?ger, Eduards Geliebte, und er bat Olivia, sie m?ge die Frau kennen lernen. Sie lie? sich zu ihr führen, und er merkte ihr an, da? ihr die Frau nicht gefiel. Da er sie um Offenheit dr?ngte, gestand sie es zu; die Frau sei ihr unheimlich, sagte sie. ?Ich fürchte, Anita wird Sie nicht glücklich machen,? ?u?erte sie ein anderes Mal z?gernd. Eduard war bestürzt und kam immer wieder darauf zurück. Sie bereute ihre Voreiligkeit, doch sie hatte seinen eigenen Zweifeln Nahrung gegeben. Wenn er bei Anita gewesen war, suchte er Olivias N?he; Anita begann ihr zu mi?trauen und qu?lte Eduard durch ihre Eifersucht. Es gab verschwiegene Zusammenkünfte zu zweien und zu dreien, lebhafte Auseinandersetzungen, Briefe wurden getauscht, und bald sah sich Olivia bedenklich verstrickt, da Eduards Herz sich ihr entschiedener zuwandte.
Nun mu?te sie abwehren, und sie tat es begütigend. Es war ihr alles ein Spiel. Eduard war ihr im Innersten fremd; seine Freundschaft mochte sie aber nicht missen. Er war klug, ehrenhaft und verl??lich. Sie spürte, da? sie ihm ein Gleichnis gegen die andere war, und da? die andere dabei verlor. So stellte sie sich in den Schatten und floh, wenn er sie suchte. Ingbert merkte, was zwischen ihr und Eduard vorging. Sie wollte seinen Rat haben, doch er war zurückhaltend und h?rte mit seinem reizenden L?cheln zu.
Eines Abends sa? sie mit Ingbert am Waldrand; Marianne war bettl?gerig, Eduard war für ein paar Tage verreist. Sie sprachen über die beiden, über die Eltern, über das Leben im Hause; pl?tzlich sagte Ingbert, der Zustand, in dem er sich befinde, schmerze ihn, er enthalte etwas Vergebliches und Künstliches, da er doch genau wisse, da? Marianne ihm niemals angeh?ren würde. Als Olivia widersprechen wollte, legte er seine Hand auf ihre und fuhr fort, es sei kein Trost vonn?ten, er beklage sich ja nicht, er klage auch nicht an; da? Herr von Friesheim gegen ihn eingenommen sei, begreife er, doch getraue er sich, den Kampf gegen ihn aufzunehmen; jede ?u?ere Schwierigkeit sei überwindlich. Es liege nicht an dem; es liege an ihm selbst. Er sei der Freiheit versprochen, damit steige oder falle sein Stern.
?Fragen Sie nicht, warum es dann so weit gekommen ist,? schlo? er leise; ?das Herz geht seinen Weg, das Schicksal geht einen andern Weg. Das Herz l??t sich verführen, die innere Stimme schweigt lange. Auf einmal aber spricht sie, und man steht sündig da und will doch nicht noch mehr sündigen.?
Olivia wu?te nichts zu erwidern. Sie ging ins Haus, setzte sich an Mariannes Bett und nahm ihre Hand. W?re es nicht dunkel im Zimmer gewesen, Marianne h?tte ihre Bl?sse und Erregung merken müssen. Ingbert war auf der Bank geblieben, man h?rte ihn eines der alten Lieder singen, die er liebte und in entzückender Weise vorzutragen wu?te. Marianne pre?te Olivias Finger; Olivia hatte ein selig hinziehendes Gefühl; sie wünschte, Ingbert m?ge sie holen und mit ihr weit fortwandern.
Sie fragte sich, weshalb er sich Marianne nicht er?ffnete, und wartete, da? sie sich gegeneinander aussprachen.
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