Ohne den Vater | Page 5

Agnes Sapper

zur Wehr; doch sie packten ihn so fest, daß er kein Glied mehr rühren
konnte; aber das konnten sie nicht hindern, daß er immer lauter rief:
"Vater, tu's nicht!"
Der Förster biß die Zähne aufeinander; noch schien er unentschlossen.
Aber in diesem Augenblick wurde der Türriegel des Nebenzimmers
zurückgeschoben und unter der halbgeöffneten Türe erschien seine
Frau. Ihr junges, rosiges Gesicht war totenblaß; sie hatte gehört, was
die Männer verhandelten und wußte, daß ihr Leben und das von Mann
und Kindern auf dem Spiel stand. Bebend vor Angst wagte sie nicht,
die Schwelle zu überschreiten, hielt die Türklinke in der Hand und rief
ihrem Mann flehend zu: "Ich bitte dich um Gottes Willen, rette uns, o
denke an die Kinder!"
Der Russe nahm seinen Vorteil wahr. Er grüßte die Dame des Hauses:
"Ja, gnädige Frau, sprechen Sie Ihrem Gemahl zu. Geht er mit uns, so
mögen Sie unbehelligt von hier fliehen, und Ihr Mann wird in kurzer
Zeit nachfolgen, auf Offiziersehre. Tut er es nicht, so gebe ich Sie
meinen Soldaten preis."
Schaudernd zog sich die geängstigte Frau vor den Blicken der rohen
Soldaten zurück.
"Ich gehe!" laut und fest sagte es der Förster und wandte sich der Türe
zu.
"Vater, tu's nicht!" Noch einmal kam der Ruf von Gebhard, der noch
immer umklammert war von harten Soldatenfäusten.

Der Vater wandte sich an den Offizier: "Lassen Sie mein Kind frei,
nach Ihrem Ehrenwort."
Ein Wink des Offiziers und die Soldaten ließen den Knaben los; aber
sie drängten sich zwischen ihn und den Förster und ließen die beiden
nicht zueinander kommen. Nur konnten sie nicht verhindern, daß ein
letzter Blick vom Vater zum Sohn ging, ein Blick voll Liebe und Stolz.
"Vorwärts!" befahl der Offizier.
Sie verließen das Zimmer; Gebhard rannte nach der Schlafzimmertüre,
die wieder verriegelt war. "Mach auf, Mutter, sie sind fort!" und außer
sich vor Zorn und Jammer rief er. "Der Vater ist doch mit ihnen
gegangen! Jetzt muß er die Deutschen verraten!"
Helene war erschüttert durch die Verzweiflung des Knaben. Sie
versuchte ihn zu trösten, zog ihn in mütterlicher Zärtlichkeit an sich:
"Der Vater kommt morgen schon zurück, der Offizier hat's auf Ehre
versprochen. Sieh, wenn er nicht nachgegeben hätte, wären wir alle
umgebracht worden. Er hat mitgehen müssen, er hat doch nicht anders
gekonnt!"
"Aber der Vater darf doch die Deutschen nicht verraten," schluchzte
das Kind.
"Denke nicht mehr daran. Denke, daß wir jetzt alle grausam
mißhandelt und getötet würden. Gott Lob, daß der Vater uns davor
behütet hat."
Gebhard konnte sich nicht fassen, zornig stampfte er und rief: "Der
Vater darf doch kein Verräter sein!"
Die Mutter sah den Knaben starr an: "Hast du kein Herz für den Vater,
für mich und für unsere Kleine? Wolltest du, wir wären grausam
hingemetzelt, du und wir alle?"
Heftig antwortete Gebhard: "Ja, ja, viel lieber möchte ich das."

Der Mutter graute. Sie konnte das Kind nicht verstehen, und war im
tiefsten Herzen gekränkt durch seine Antwort. Aber weiter mit ihm zu
reden war nicht möglich; denn unter der Türe erschien die Magd,
schreckensbleich mit verweinten Augen: "Der Knecht sagt, wir müssen
eilen, daß wir fortkommen, der Herr hat's ihm noch zugerufen. Unser
armer, armer Herr, sie haben ihn fortgeführt! Auf einem Russenpferd,
mitten unter den Feinden ganz allein! Und er hat sich noch so tapfer
umgeschaut, so todesmutig ist er davon geritten! Der arme Herr, was
werden sie mit ihm tun?"
Helene hatte auf den Lippen zu sagen: "Es geschieht ihm nichts,
morgen wird er uns nachkommen;" aber sie unterdrückte die Worte.
Die Leute durften nicht wissen, daß der Herr sich bereit erklärt hatte,
mit den Feinden zu gehen. Schwer fiel ihr auf die Seele: Kein
Deutscher durfte das je erfahren. Es war ja Verrat, was ihr Mann
beging. Ihr zuliebe tat er's; nicht aus Angst ums eigene Leben, der
tapfere, treue Mann! Wie wollte sie ihm das danken ihr Leben lang!
Die Magd mahnte noch einmal zur Eile. "Was ist noch aufzuladen?"
Hastig griff Helene nach diesem und jenem, beladen eilte die Magd die
Treppe hinunter, rief Gebhard zur Hilfe; wie im Traum nahm er, was
ihm hingereicht wurde. Die Mutter aber suchte in Eile nach einem Blatt
Papier, sie mußte ihm noch ein Wort schreiben, das sollte er finden,
wenn er in sein verödetes Haus zurückkäme, mit einer schweren Last
auf dem Gewissen, einer Last, die er ihr zuliebe durchs ganze Leben
tragen mußte. In fliegender Eile schrieb sie mit zitternder Hand:
"Komm bald zu mir, herzliebster Schatz, hab tausendmal Dank, daß Du
uns das Leben gerettet hast!" Mitten auf den Tisch legte sie das Blatt,
dann noch daneben, was ihn stärken sollte, Brot und eine Flasche Wein.
Wieder kam die Magd unter die Türe: "Jetzt ist angespannt."
"Ich komme!" Sie nahm ihr Kindchen, das liebevoll eingehüllte. Die
Magd bemerkte Brot und Wein, wollte beides mitnehmen. Helene ließ
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