verraten?"
"Du weißt es ja gar nicht, Gebhard," sagte die Mutter und lachte
fröhlich. Die Luft kam ihr schon nicht mehr schwül vor; und bald
schliefen Mutter und Sohn ebenso ruhig wie das Kindchen im
Korbwagen und ahnten so wenig wie dieses, daß sie zum letzten Mal
im Forsthaus schliefen.
Am Morgen des folgenden Tages kam, angestrengt von langem,
eiligem Marsch, Stegemann zurück. Nach der schlaflosen Nacht sollte
er sich mit einem guten Frühstück stärken und die verlorene Nachtruhe
nachholen, das war der Wunsch seiner jungen Frau; ungesäumt wollte
sie für seine Bewirtung sorgen. Er aber hielt sie zurück: "Das ist jetzt
Nebensache," sagte er eilig, "wir haben viel Wichtigeres zu tun.
Leutnant N. riet mir dringend, heute noch mit Frau und Kind und,
soweit möglich, mit Hab und Gut abzuziehen. Erschrick nicht so,
Liebste, die Straße ist noch frei von Feinden; aber wir wollen auch gar
keine Zeit verlieren. Jetzt gilt es aufpacken, was das Nötigste und
Wertvollste ist, um so schnell es nur irgend geht, an die Bahn zu
kommen. Ich sage gleich den Leuten, sie sollen helfen, auch sie müssen
fliehen. Es kann sein, daß die Russen der Spur der Patrouille folgen, die
heute nacht hier war. Nun, Gebhard, hilf der Mutter!"
In wenigen Minuten war der stille Forsthof erfüllt von lärmendem,
hastigem Treiben. Der Knecht fuhr den Wagen vor und lud auf, was
ihm zugereicht wurde: Betten, Kleider, Wäsche, auch allerlei Vorräte
aus Küche und Kammer. Gebhard lief aus und ein, fast fröhlich in der
eifrigen Tätigkeit. Knecht und Magd trugen ihre Bündel herbei.
Keine halbe Stunde war verflossen; da suchte der Förster seine Frau auf,
die an ihrem Wäscheschrank stand und trieb zur Abfahrt: "Es ist genug,
laß alles andere, wir fahren!"
Ganz erstaunt schaute sie auf: "Daß du so ängstlich bist! Auf eine
Viertelstunde kommt es doch nicht an; die kleine Aussteuer vom
Jüngferlein--" sie unterbrach sich: "Horch!" Die Hunde bellten, der
Förster eilte ans Fenster. Er wandte sich sofort wieder zurück: "Es ist
schon zu spät," sagte er, "die Russen kommen!"
Er sprach ruhig; aber sein Gesicht verlor alle Farbe. Auch seine Frau
trat ans Fenster und fuhr erschreckt zurück: "Um Gottes willen, was
sollen wir tun?" rief sie in Todesangst.
"Geh da hinein und schließe dich ein!" rief ihr Mann. Er faßte sie
schnell, drückte sie an sein Herz, küßte sie stürmisch und führte sie in
das Schlafzimmer zu ihrer Kleinen.
"Gott behüte euch," rief er, "schließe zu!"
Sie schob den Riegel vor.
In diesem Augenblick kam Gebhard atemlos: "Vater, russische Reiter
sind im Hof, sie fragen nach dem Förster. Was wollen sie denn von
dir?"
Herr Stegemann zog sein Kind leidenschaftlich an sich: "Sie wollen
vielleicht wissen, wohin unsere Soldaten heute nacht gegangen sind."
"Aber das darfst du ihnen doch nicht sagen?"
"Nein."
"Was wird dann, Vater?"
"Was Gott will."
Der Anführer der russischen Truppe, die aus etwa 15 Mann bestand,
trat in das Zimmer, den Revolver in der Hand; einige seiner Leute
folgten, andere hielten Wacht an der Türe. Es kam, wie der Förster
vorausgesehen. Der russische Offizier wollte wissen, wohin die
deutsche Patrouille, deren Spur sie gefunden hatten, gezogen sei.
Offenbar war seine Absicht, ihr zu folgen, sie abzufangen, ehe sie ihren
Zweck erfüllen und über ihre Erkundung den Deutschen Nachricht
geben konnte. Ein polnischer Waldarbeiter hatte ihm verraten, daß der
Förster die Patrouille geführt hatte. Und nun sollte er die Feinde führen,
die zu Pferd die deutschen Fußgänger leicht einholen würden.
Der Förster, die Rechte auf den Tisch gestützt, hörte die Forderung.
Fest klang seine Antwort: "Sucht sie selbst. Ihr könnt vom deutschen
Mann nicht verlangen, daß er die Deutschen verrate."
Neben dem Vater stand Gebhard mit glühenden Wangen. Wie ein Held
erschien ihm der Vater, da er dem russischen Offizier kurz und fest den
Dienst verweigerte.
Der Russe aber lachte höhnisch, im Gefühl der Übermacht: "Sie sind
ein Tor. Wollen Sie nicht, so sind Sie mit Weib und Kind in 5 Minuten
niedergemacht."
Tief aufatmend antwortete der Förster: "Ich werde nicht zum Verräter."
Dem Offizier stieg der Zorn auf, aber ihm lag daran, einen willigen
Führer zu gewinnen, so bezwang er sich. "Nehmen Sie Vernunft an,"
sagte er. "Sie entschuldigt die Not. Sie sind machtlos in unseren
Händen. Entschließen Sie sich rasch, daß uns die kostbare Zeit nicht
verloren geht. Dann sollen Sie, auf Offiziersehre, unversehrt
zurückkehren, sobald wir die Deutschen erreicht und noch ehe sie Sie
gesehen haben. Weib und Kind können Sie in Sicherheit bringen, Ihr
Hab und Gut soll unberührt bleiben."
Der Förster schwieg.
"Vater, tu's nicht!" rief Gebhard leidenschaftlich. Der Offizier wandte
sich heftig gegen den Knaben, packte ihn, schob ihn beiseite und rief:
"Der soll der erste sein, der vor Ihren Augen erstochen wird, wenn Sie
nicht augenblicklich folgen."--"Haltet den Buben!" befahl er den
Soldaten. Die ergriffen Gebhard mit rauher Hand. Wütend setzte er sich
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