Oberon | Page 6

Christoph Martin Wieland
Herr dem jungen Ritter glich.
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Der junge Mann erzählt, nach Art der lieben Jugend,
Ein wenig
breit: wie seine Mutter ihn
Bey Hofe (dem wahren Ort um Prinzen zu
erziehn)
Gar fleißig zu guter Lehr' und ritterlicher Tugend
Erzogen;
wie schnell der Kindheit lieblicher Traum
Vorüber geflogen; und wie,
so bald ihm etwas Flaum
Durchs Kinn gestochen, man ihn zu
Bordeaux, von den Stufen
Des Schlosses, mit großem Pomp zum
Herzog ausgerufen;
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Und wie sie drauf in eitel Lust und Pracht,
Mit Jagen, Turnieren,
Banketten, Saus und Brause,
Zwey volle Jahre wie einzelne Tage
verbracht;
Bis Amory, der Feind von seinem Hause,
Beym Kaiser
(dessen Huld sein Vater schon verscherzt)
Ihn hinterrücks gar böslich
angeschwärzt;
Und wie ihn Karl, zum Schein in allen Gnaden,

Nach Hofe, zum Empfang der Lehen, vorgeladen;
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Wie sein besagter Feind, der listige Baron
Von Hohenblat, mit
Scharlot, zweytem Sohn
Des großen Karls, dem schlimmsten
Fürstenknaben
Im Christenthum, (als der schon lange Lust gehegt

Zu Hüons Land) es heimlich angelegt
Auf seinem Zuge nach Hof ihm
eine Grube zu graben;
Und wie sie, eines Morgens früh,
Ihm
aufgepaßt im Wald bey Montlery.

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Mein Bruder, fuhr er fort, der junge Gerard, machte,
Mit seinem
Falken auf der Hand,
Die Reise mit. Aus frohem Unverstand

Entfernt der Knabe sich, da niemand arges dachte,
Von unserm Trupp,
läßt seinen Falken los,
Und rennt ihm nach: wir andern alle zogen

Indessen unsern Weg, und achteten's nicht groß
Als Falk' und Knab'
aus unserm Blick entflogen.
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Auf einmahl dringt ein klägliches Geschrey
In unser Ohr. Wir
eilen schnell herbey,
Und siehe da! mein Bruder liegt, vom Pferde

Gestürzt, beschmutzt und blutend auf der Erde.
Ein Edelknecht (von
keinem unsrer Schaar
Erkannt, wiewohl es Scharlot selber war)

Stand im Begriff ihn weidlich abzuwalken,
Und seitwärts hielt ein
Zwerg mit seinem Falken.
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Von Zorn entbrannt rief ich: Du Grobian,
Was hat der Knabe dir
gethan,
Der wehrlos ist, ihm also mitzuspielen?
Zurück, und rühr'
ihn noch mit einem Finger an,
Wofern dich's jückt mein Schwert in
deinem Wanst zu fühlen. Ha! schrie mir jener zu--bist du's? Dich sucht'
ich just;
Schon lange dürst' ich nach der Lust
Mein racheglühend
Herz in deinem Blut zu kühlen.
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Kennst du mich nicht, so wiß', ich bin der Sohn
Des Herzogs
Dietrich von Ardennen:
Dein Vater Siegewin (mög' er im Abgrund
brennen!)
Trug über meinen einst bey einem offnen Rennen
Mit
Hinterlist den Dank davon,
Und durch die Flucht allein entging er
seinem Lohn.
Doch, Rache hab' ich ihm geschworen,
Du sollst mir
zahlen für ihn! Da, sieh zu deinen Ohren!
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Und mit dem Worte rennt er gegen mich,
Der, unbereit zu
solchem Tanze,
Sich dessen nicht versah, mit eingelegter Lanze.

Zum Glück pariert' ich seinen Stich
Mit meinem linken Arm, um den
ich in der Eile
Den Mantel schlug, und auf der Stell' empfing
Mit
meinem Degenknopf der Unhold eine Beule

Am rechten Schlaf,
wovon der Athem ihm entging.

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Er fiel, mit Einem Wort, um nimmer aufzustehen.
Da ließen
plötzlich sich im Walde Reiter sehen
In großer Zahl; doch des
Erschlagnen Tod
Zu rächen, war dem feigen Troß nicht Noth.
Sie
hielten, während wir des Knaben Wunde banden,
Sich still und fern,
bis wir aus ihren Augen schwanden;
Drauf legten sie den Leichnam
auf ein Roß
Und zogen eilends fort zum kaiserlichen Schloß.
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Unwissend, wie bey Karl mein Handel sich verschlimmert,

Verfolg' ich meinen Weg, des Vorgangs unbekümmert.
Wir langen an.
Mein alter Oheim, Abt
Zu Saint Denys, ein Mann mit Weisheit
hochbegabt,
Führt beym Gehör das Wort. Wir werden wohl
empfangen,
Und alles wär' erwünscht für uns ergangen:
Doch, wie
man eben sich zur Tafel setzen will,
Hält Hohenblat am Schloß mit
Scharlots Leiche still.
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Zwölf Knappen tragen sie, in schwarzen Flor vermummt,
Die
hohen Stufen hinan, und wer sie sieht verstummet
Und steht erstarrt.
Sie nehmen ihren Lauf
Dem Sahle zu. Die Thüren springen auf:
Da
tragen zwölf Gespenster eine Bahre,
Mit blut'gen Linnen bedeckt, bis
mitten in den Sahl.
Der Kaiser selbst erblaßt, uns andern stehn ' die
Haare
Zu Berg, und mich trifft's wie ein Wetterstrahl.
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Indem tritt Amory hervor, hebt von der Leiche
Das blut'ge Tuch,
und--"Sieh! (ruft er dem Kaiser zu)
Dieß ist dein Sohn! und hier der
Frevler, der dem Reiche
Und dir die Wunde schlug, der Mörder
unsrer Ruh!
Weh mir! ich kam zu spät dazu!
Sich nichts versehend
fiel dein Scharlot im Gesträuche,
Durch Meuchelmord, nicht wie in
offnem Feld
Von Rittershand ein ritterlicher Held."
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Wie viel Verdrieß dem alten Herrn auch täglich
Sein böser Sohn
gebracht, so blieb er doch sein Sohn,
Sein Fleisch und Blut. Erst
stand er unbeweglich;
Dann schrie er laut vor Schmerz, mein Sohn!
Mein Sohn!

Und warf sich in Verzweiflung neben
Den Leichnam
hin. Mir war der bange Vaterton
Ein Dolch ins Herz; ich hätt' um

Scharlots Leben
In diesem Augenblick mein bestes Blut gegeben.
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Herr, rief ich, höre mich! Mein Will' ist ohne Schuld;
Er gab
sich für den Sohn des Herzogs von Ardennen,
Und was er that, bey
Gott! es hätte die Geduld
Von einem Heil'gen morden können!
Er
schlug den Knaben dort, der ihm kein Leid gethan,
Sprach lästerlich
von meines Vaters Ehre,
Fiel unverwarnt mich selber mörd'risch an--

Den möcht' ich sehn, der kalt geblieben wäre!
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Ha! Bösewicht! schreyt Karl mich hörend, springt entbrannt Vom
Leichnam auf, mit Löwengrimm im Blicke,
Reißt einem Knecht das
Eisen aus der Hand,
Und, hielten ihn mit Macht die Fürsten nicht
zurücke,
Er hätt'
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