Nachtstuecke | Page 6

E.T.A. Hoffmann

betreten haben würden - gibt es eine solche Macht, so muß sie in uns
sich, wie wir selbst gestalten, ja unser Selbst werden; denn nur so
glauben wir an sie und räumen ihr den Platz ein, dessen sie bedarf, um
jenes geheime Werk zu vollbringen. Haben wir festen, durch das heitre
Leben gestärkten, Sinn genug, um fremdes feindliches Einwirken als
solches stets zu erkennen und den Weg, in den uns Neigung und Beruf
geschoben, ruhigen Schrittes zu verfolgen, so geht wohl jene
unheimliche Macht unter in dem vergeblichen Ringen nach der
Gestaltung, die unser eignes Spiegelbild sein sollte. Es ist auch gewiß,
fügt Lothar hinzu, daß die dunkle psychische Macht, haben wir uns
durch uns selbst ihr hingegeben, oft fremde Gestalten, die die
Außenwelt uns in den Weg wirft, in unser Inneres hineinzieht, so, daß
wir selbst nur den Geist entzünden, der, wie wir in wunderlicher
Täuschung glauben, aus jener Gestalt spricht. Es ist das Phantom
unseres eigenen Ichs, dessen innige Verwandtschaft und dessen tiefe
Einwirkung auf unser Gemüt uns in die Hölle wirft, oder in den
Himmel verzückt. - Du merkst, mein herzlieber Nathanael! daß wir, ich
und Bruder Lothar uns recht über die Materie von dunklen Mächten
und Gewalten ausgesprochen haben, die mir nun, nachdem ich nicht
ohne Mühe das Hauptsächlichste aufgeschrieben, ordentlich tiefsinnig
vorkommt. Lothars letzte Worte verstehe ich nicht ganz, ich ahne nur,
was er meint, und doch ist es mir, als sei alles sehr wahr. Ich bitte Dich,
schlage Dir den häßlichen Advokaten Coppelius und den
Wetterglasmann Giuseppe Coppola ganz aus dem Sinn. Sei überzeugt,
daß diese fremden Gestalten nichts über Dich vermögen; nur der
Glaube an ihre feindliche Gewalt kann sie Dir in der Tat feindlich

machen. Spräche nicht aus jeder Zeile Deines Briefes die tiefste
Aufregung Deines Gemüts, schmerzte mich nicht Dein Zustand recht in
innerster Seele, wahrhaftig, ich könnte über den Advokaten Sandmann
und den Wetterglashändler Coppelius scherzen. Sei heiter - heiter! - Ich
habe mir vorgenommen, bei Dir zu erscheinen, wie Dein Schutzgeist,
und den häßlichen Coppola, sollte er es sich etwa beikommen lassen,
Dir im Traum beschwerlich zu fallen, mit lautem Lachen fortzubannen.
Ganz und gar nicht fürchte ich mich vor ihm und vor seinen garstigen
Fäusten, er soll mir weder als Advokat eine Näscherei, noch als
Sandmann die Augen verderben.
Ewig, mein herzinnigstgeliebter Nathanael etc. etc. etc.
Nathanael an Lothar
Sehr unlieb ist es mir, daß Clara neulich den Brief an Dich aus, freilich
durch meine Zerstreutheit veranlagtem, Irrtum erbrach und las. Sie hat
mir einen sehr tiefsinnigen philosophischen Brief geschrieben, worin
sie ausführlich beweiset, daß Coppelius und Coppola nur in meinem
Innern existieren und Phantome meines Ichs sind, die augenblicklich
zerstäuben, wenn ich sie als solche erkenne. In der Tat, man sollte gar
nicht glauben, daß der Geist, der aus solch hellen holdlächelnden
Kindesaugen, oft wie ein lieblicher süßer Traum, hervorleuchtet, so gar
verständig, so magistermäßig distinguieren könne. Sie beruft sich auf
Dich. Ihr habt über mich gesprochen. Du liesest ihr wohl logische
Kollegia, damit sie alles fein sichten und sondern lerne. - Laß das
bleiben! - Übrigens ist es wohl gewiß, daß der Wetterglashändler
Giuseppe Coppola keinesweges der alte Advokat Coppelius ist. Ich
höre bei dem erst neuerdings angekommenen Professor der Physik, der,
wie jener berühmte Naturforscher, Spalanzani heißt und italienischer
Abkunft ist, Kollegia. Der kennt den Coppola schon seit vielen Jahren
und überdem hört man es auch seiner Aussprache an, daß er wirklich
Piemonteser ist. Coppelius war ein Deutscher, aber wie mich dünkt,
kein ehrlicher. Ganz beruhigt bin ich nicht. Haltet Ihr, Du und Clara,
mich immerhin für einen düstern Träumer, aber nicht los kann ich den
Eindruck werden, den Coppelius' verfluchtes Gesicht auf mich macht.
Ich bin froh, daß er fort ist aus der Stadt, wie mir Spalanzani sagt.
Dieser Professor ist ein wunderlicher Kauz. Ein kleiner rundlicher
Mann, das Gesicht mit starken Backenknochen, feiner Nase,
aufgeworfenen Lippen, kleinen stechenden Augen. Doch besser, als in

jeder Beschreibung, siehst Du ihn, wenn Du den Cagliostro, wie er von
Chodowiecki in irgend einem Berlinischen Taschenkalender steht,
anschauest. - So sieht Spalanzani aus. - Neulich steige ich die Treppe
herauf und nehme wahr, daß die sonst einer Glastüre dicht vorgezogene
Gardine zur Seite einen kleinen Spalt läßt. Selbst weiß ich nicht, wie
ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im
reinsten Ebenmaß gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saß
im Zimmer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Ärme, die
Hände zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saß der Türe gegenüber, so,
daß ich ihr engelschönes Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht
zu bemerken, und überhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe
möcht ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit
offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich
leise fort ins Auditorium, das daneben gelegen. Nachher erfuhr ich, daß
die Gestalt, die ich
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 137
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.