bringend deute. Er war anders gekleidet, aber Coppelius' Figur
und Gesichtszüge sind zu tief in mein Innerstes eingeprägt, als daß hier
ein Irrtum möglich sein sollte. Zudem hat Coppelius nicht einmal
seinen Namen geändert. Er gibt sich hier, wie ich höre, für einen
piemontesischen Mechanikus aus, und nennt sich Giuseppe Coppola.
Ich bin entschlossen es mit ihm aufzunehmen und des Vaters Tod zu
rächen, mag es denn nun gehen wie es will.
Der Mutter erzähle nichts von dem Erscheinen des gräßlichen Unholds
- Grüße meine liebe holde Clara, ich schreibe ihr in ruhigerer
Gemütsstimmung. Lebe wohl etc. etc.
Clara an Nathanael
Wahr ist es, daß Du recht lange mir nicht geschrieben hast, aber
dennoch glaube ich, daß Du mich in Sinn und Gedanken trägst. Denn
meiner gedachtest Du wohl recht lebhaft, als Du Deinen letzten Brief
an Bruder Lothar absenden wolltest und die Aufschrift, statt an ihn an
mich richtetest. Freudig erbrach ich den Brief und wurde den Irrtum
erst bei den Worten inne: »Ach mein herzlieber Lothar!« - Nun hätte
ich nicht weiter lesen, sondern den Brief dem Bruder geben sollen.
Aber, hast Du mir auch sonst manchmal in kindischer Neckerei
vorgeworfen, ich hätte solch ruhiges, weiblich besonnenes Gemüt, daß
ich wie jene Frau, drohe das Haus den Einsturz, noch vor schneller
Flucht ganz geschwinde einen falschen Kniff in der Fenstergardine
glattstreichen würde, so darf ich doch wohl kaum versichern, daß
Deines Briefes Anfang mich tief erschütterte. Ich konnte kaum atmen,
es flimmerte mir vor den Augen. - Ach, mein herzgeliebter Nathanael!
was konnte so Entsetzliches in Dein Leben getreten sein! Trennung von
Dir, Dich niemals wiedersehen, der Gedanke durchfuhr meine Brust
wie ein glühender Dolchstich. - Ich las und las! - Deine Schilderung des
widerwärtigen Coppelius ist gräßlich. Erst jetzt vernahm ich, wie Dein
guter alter Vater solch entsetzlichen, gewaltsamen Todes starb. Bruder
Lothar, dem ich sein Eigentum zustellte, suchte mich zu beruhigen,
aber es gelang ihm schlecht. Der fatale Wetterglashändler Giuseppe
Coppola verfolgte mich auf Schritt und Tritt und beinahe schäme ich
mich, es zu gestehen, daß er selbst meinen gesunden, sonst so ruhigen
Schlaf in allerlei wunderlichen Traumgebilden zerstören konnte. Doch
bald, schon den andern Tag, hatte sich alles anders in mir gestaltet. Sei
mir nur nicht böse, mein Inniggeliebter, wenn Lothar Dir etwa sagen
möchte, daß ich trotz Deiner seltsamen Ahnung, Coppelius werde Dir
etwas Böses antun, ganz heitern unbefangenen Sinnes bin, wie immer.
Geradeheraus will ich es Dir nur gestehen, daß, wie ich meine, alles
Entsetzliche und Schreckliche, wovon Du sprichst, nur in Deinem
Innern vorging, die wahre wirkliche Außenwelt aber daran wohl wenig
teilhatte. Widerwärtig genug mag der alte Coppelius gewesen sein, aber
daß er Kinder haßte, das brachte in Euch Kindern wahren Abscheu
gegen ihn hervor.
Natürlich verknüpfte sich nun in Deinem kindischen Gemüt der
schreckliche Sandmann aus dem Ammenmärchen mit dem alten
Coppelius, der Dir, glaubtest Du auch nicht an den Sandmann, ein
gespenstischer, Kindern vorzüglich gefährlicher, Unhold blieb. Das
unheimliche Treiben mit Deinem Vater zur Nachtzeit war wohl nichts
anders, als daß beide insgeheim alchymistische Versuche machten,
womit die Mutter nicht zufrieden sein konnte, da gewiß viel Geld
unnütz verschleudert und obendrein, wie es immer mit solchen
Laboranten der Fall sein soll, des Vaters Gemüt ganz von dem
trügerischen Drange nach hoher Weisheit erfüllt, der Familie abwendig
gemacht wurde. Der Vater hat wohl gewiß durch eigne
Unvorsichtigkeit seinen Tod herbeigeführt, und Coppelius ist nicht
schuld daran: Glaubst Du, daß ich den erfahrnen Nachbar Apotheker
gestern frug, ob wohl bei chemischen Versuchen eine solche
augenblicklich tötende Explosion möglich sei? Der sagte: »Ei
allerdings« und beschrieb mir nach seiner Art gar weitläufig und
umständlich, wie das zugehen könne, und nannte dabei so viel
sonderbar klingende Namen, die ich gar nicht zu behalten vermochte. -
Nun wirst Du wohl unwillig werden über Deine Clara, Du wirst sagen:
»In dies kalte Gemüt dringt kein Strahl des Geheimnisvollen, das den
Menschen oft mit unsichtbaren Armen umfaßt; sie erschaut nur die
bunte Oberfläche der Welt und freut sich, wie das kindische Kind über
die goldgleißende Frucht, in deren Innern tödliches Gift verborgen.«
Ach mein herzgeliebter Nathanael! glaubst Du denn nicht, daß auch in
heitern - unbefangenen - sorglosen Gemütern die Ahnung wohnen
könne von einer dunklen Macht, die feindlich uns in unserm eignen
Selbst zu verderben strebt? - Aber verzeih es mir, wenn ich einfältig
Mädchen mich unterfange, auf irgend eine Weise Dir anzudeuten, was
ich eigentlich von solchem Kampfe im Innern glaube. - Ich finde wohl
gar am Ende nicht die rechten Worte und Du lachst mich aus, nicht,
weil ich was Dummes meine, sondern weil ich mich so ungeschickt
anstelle, es zu sagen.
Gibt es eine dunkle Macht, die so recht feindlich und verräterisch einen
Faden in unser Inneres legt, woran sie uns dann festpackt und fortzieht
auf einem gefahrvollen verderblichen Wege, den wir sonst nicht
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