gesehen, Spalanzanis Tochter, Olimpia war, die er
sonderbarer und schlechter Weise einsperrt, so, daß durchaus kein
Mensch in ihre Nähe kommen darf. - Am Ende hat es eine Bewandtnis
mit ihr, sie ist vielleicht blödsinnig oder sonst. - Weshalb schreibe ich
Dir aber das alles? Besser und ausführlicher hätte ich Dir das mündlich
erzählen können. Wisse nämlich, daß ich über vierzehn Tage bei Euch
bin. Ich muß mein süßes liebes Engelsbild, meine Clara, wiedersehen.
Weggehaucht wird dann die Verstimmung sein, die sich (ich muß das
gestehen) nach dem fatalen verständigen Briefe meiner bemeistern
wollte. Deshalb schreibe ich auch heute nicht an sie.
Tausend Grüße etc. etc. etc.
Seltsamer und wunderlicher kann nichts erfunden werden, als dasjenige
ist, was sich mit meinem armen Freunde, dem jungen Studenten
Nathanael, zugetragen, und was ich dir, günstiger Leser! zu erzählen
unternommen. Hast du, Geneigtester! wohl jemals etwas erlebt, das
deine Brust, Sinn und Gedanken ganz und gar erfüllte, alles andere
daraus verdrängend? Es gärte und kochte in dir, zur siedenden Glut
entzündet sprang das Blut durch die Adern und färbte höher deine
Wangen. Dein Blick war so seltsam als wolle er Gestalten, keinem
andern Auge sichtbar, im leeren Raum erfassen und die Rede zerfloß in
dunkle Seufzer. Da frugen dich die Freunde: »Wie ist Ihnen, Verehrter?
- Was haben Sie, Teurer?« Und nun wolltest du das innere Gebilde mit
allen glühenden Farben und Schatten und Lichtern aussprechen und
mühtest dich ab, Worte zu finden, um nur anzufangen. Aber es war dir,
als müßtest du nun gleich im ersten Wort alles Wunderbare, Herrliche,
Entsetzliche, Lustige, Grauenhafte, das sich zugetragen, recht
zusammengreifen, so daß es, wie ein elektrischer Schlag, alle treffe.
Doch jedes Wort, alles was Rede vermag, schien dir farblos und frostig
und tot. Du suchst und suchst, und stotterst und stammelst, und die
nüchternen Fragen der Freunde schlagen, wie eisige Windeshauche,
hinein in deine innere Glut, bis sie verlöschen will. Hattest du aber, wie
ein kecker Maler, erst mit einigen verwegenen Strichen, den Umriß
deines innern Bildes hingeworfen, so trugst du mit leichter Mühe
immer glühender und glühender die Farben auf und das lebendige
Gewühl mannigfacher Gestalten riß die Freunde fort und sie sahen, wie
du, sich selbst mitten im Bilde, das aus deinem Gemüt hervorgegangen!
- Mich hat, wie ich es dir, geneigter Leser! gestehen muß, eigentlich
niemand nach der Geschichte des jungen Nathanael gefragt; du weißt ja
aber wohl, daß ich zu dem wunderlichen Geschlechte der Autoren
gehöre, denen, tragen sie etwas so in sich, wie ich es vorhin
beschrieben, so zumute wird, als frage jeder, der in ihre Nähe kommt
und nebenher auch wohl noch die ganze Welt: »Was ist es denn?
Erzählen Sie Liebster?« - So trieb es mich denn gar gewaltig, von
Nathanaels verhängnisvollem Leben zu dir zu sprechen. Das
Wunderbare, Seltsame davon erfüllte meine ganze Seele, aber eben
deshalb und weil ich dich, o mein Leser! gleich geneigt machen mußte,
Wunderliches zu ertragen, welches nichts Geringes ist, quälte ich mich
ab, Nathanaels Geschichte, bedeutend - originell, ergreifend,
anzufangen: »Es war einmal« - der schönste Anfang jeder Erzählung,
zu nüchtern! - »In der kleinen Provinzialstadt S. lebte« - etwas besser,
wenigstens ausholend zum Klimax. - Oder gleich medias in res:
»>Scher er sich zum Teufel<, rief, Wut und Entsetzen im wilden Blick,
der Student Nathanael, als der Wetterglashändler Giuseppe Coppola« -
Das hatte ich in der Tat schon aufgeschrieben, als ich in dem wilden
Blick des Studenten Nathanael etwas Possierliches zu verspüren
glaubte; die Geschichte ist aber gar nicht spaßhaft. Mir kam keine Rede
in den Sinn, die nur im mindesten etwas von dem Farbenglanz des
innern Bildes abzuspiegeln schien. Ich beschloß gar nicht anzufangen.
Nimm, geneigter Leser! die drei Briefe, welche Freund Lothar mir
gütigst mitteilte, für den Umriß des Gebildes, in das ich nun erzählend
immer mehr und mehr Farbe hineinzutragen mich bemühen werde.
Vielleicht gelingt es mir, manche Gestalt, wie ein guter Porträtmaler, so
aufzufassen, daß du es ähnlich findest, ohne das Original zu kennen, ja
daß es dir ist, als hättest du die Person recht oft schon mit leibhaftigen
Augen gesehen. Vielleicht wirst du, o mein Leser! dann glauben, daß
nichts wunderlicher und toller sei, als das wirkliche Leben und daß
dieses der Dichter doch nur, wie in eines matt geschliffnen Spiegels
dunklem Widerschein, auffassen könne.
Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen nötig, ist jenen
Briefen noch hinzuzufügen, daß bald darauf, als Nathanaels Vater
gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitläuftigen Verwandten,
der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels
Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael faßten eine
heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas
einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort
verließ um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in seinem
letzten Brief und hört Kollegia bei dem berühmten Professor Physices,
Spalanzani.
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