Nachtstuecke | Page 4

E.T.A. Hoffmann
begann: »Nun haben wir Augen - Augen - ein schön Paar
Kinderaugen.« So flüsterte Coppelius, und griff mit den Fäusten
glutrote Körner aus der Flamme, die er mir in die Augen streuen wollte.
Da hob mein Vater flehend die Hände empor und rief. »Meister!
Meister! laß meinem Nathanael die Augen - laß sie ihm!« Coppelius
lachte gellend auf und rief. »Mag denn der Junge die Augen behalten
und sein Pensum flennen in der Welt; aber nun wollen wir doch den
Mechanismus der Hände und der Füße recht observieren.« Und damit
faßte er mich gewaltig, daß die Gelenke knackten, und schrob mir die
Hände ab und die Füße und setzte sie bald hier, bald dort wieder ein. »'s
steht doch überall nicht recht! 's gut so wie es war! - Der Alte hat's
verstanden!« So zischte und lispelte Coppelius; aber alles um mich her
wurde schwarz und finster, ein jäher Krampf durchzuckte Nerv und
Gebein - ich fühlte nichts mehr. Ein sanfter warmer Hauch glitt über
mein Gesicht, ich erwachte wie aus dem Todesschlaf, die Mutter hatte
sich über mich hingebeugt. »Ist der Sandmann noch da?« stammelte ich.
»Nein, mein liebes Kind, der ist lange, lange fort, der tut dir keinen
Schaden!« - So sprach die Mutter und küßte und herzte den
wiedergewonnenen Liebling.
Was soll ich Dich ermüden, mein herzlieber Lothar! was soll ich so
weitläufig einzelnes hererzählen, da noch so vieles zu sagen übrig
bleibt? Genug! - ich war bei der Lauscherei entdeckt, und von
Coppelius gemißhandelt worden. Angst und Schrecken hatten mir ein
hitziges Fieber zugezogen, an dem ich mehrere Wochen krank lag. »Ist
der Sandmann noch da?« - Das war mein erstes gesundes Wort und das
Zeichen meiner Genesung, meiner Rettung. - Nur noch den
schrecklichsten Moment meiner Jugendjahre darf ich Dir erzählen;
dann wirst Du überzeugt sein, daß es nicht meiner Augen Blödigkeit ist,
wenn mir nun alles farblos erscheint, sondern, daß ein dunkles
Verhängnis wirklich einen trüben Wolkenschleier über mein Leben
gehängt hat, den ich vielleicht nur sterbend zerreiße.
Coppelius ließ sich nicht mehr sehen, es hieß, er habe die Stadt
verlassen.
Ein Jahr mochte vergangen sein, als wir der alten unveränderten Sitte

gemäß abends an dem runden Tische saßen. Der Vater war sehr heiter
und erzählte viel Ergötzliches von den Reisen, die er in seiner Jugend
gemacht. Da hörten wir, als es neune schlug, plötzlich die Haustür in
den Angeln knarren und langsame eisenschwere Schritte dröhnten
durch den Hausflur die Treppe herauf. »Das ist Coppelius«, sagte
meine Mutter erblassend. »Ja! - es ist Coppelius«, wiederholte der
Vater mit matter gebrochener Stimme. Die Tränen stürzten der Mutter
aus den Augen. »Aber Vater, Vater!« rief sie, »muß es denn so sein?« -
»Zum letzten Male!« erwiderte dieser, »zum letzten Male kommt er zu
mir, ich verspreche es dir. Geh nur, geh mit den Kindern! - Geht - geht
zu Bette! Gute Nacht!«
Mir war es, als sei ich in schweren kalten Stein eingepreßt - mein Atem
stockte! - Die Mutter ergriff mich beim Arm als ich unbeweglich stehen
blieb: »Komm Nathanael, komme nur!« Ich ließ mich fortführen, ich
trat in meine Kammer. »Sei ruhig, sei ruhig, lege dich ins Bette! -
schlafe - schlafe«, rief mir die Mutter nach; aber von unbeschreiblicher
innerer Angst und Unruhe gequält, konnte ich kein Auge zutun. Der
verhaßte abscheuliche Coppelius stand vor mir mit funkelnden Augen
und lachte mich hämisch an, vergebens trachtete ich sein Bild los zu
werden. Es mochte wohl schon Mitternacht sein, als ein entsetzlicher
Schlag geschah, wie wenn ein Geschütz losgefeuert würde. Das ganze
Haus erdröhnte, es rasselte und rauschte bei meiner Türe vorüber, die
Haustüre wurde klirrend zugeworfen. »Das ist Coppelius!« rief ich
entsetzt und sprang aus dem Bette. Da kreischte es auf in schneidendem
trostlosen Jammer, fort stürzte ich nach des Vaters Zimmer, die Türe
stand offen, erstickender Dampf quoll mir entgegen, das
Dienstmädchen schrie: »Ach, der Herr! - der Herr!« - Vor dem
dampfenden Herde auf dem Boden lag mein Vater tot mit schwarz
verbranntem gräßlich verzerrtem Gesicht, um ihn herum heulten und
winselten die Schwestern - die Mutter ohnmächtig daneben! -
»Coppelius, verruchter Satan, du hast den Vater erschlagen!« - So
schrie ich auf, mir vergingen die Sinne. Als man zwei Tage darauf
meinen Vater in den Sarg legte, waren seine Gesichtszüge wieder mild
und sanft geworden, wie sie im Leben waren. Tröstend ging es in
meiner Seele auf, daß sein Bund mit dem teuflischen Coppelius ihn
nicht ins ewige Verderben gestürzt haben könne.
Die Explosion hatte die Nachbarn geweckt, der Vorfall wurde ruchtbar

und kam vor die Obrigkeit, welche den Coppelius zur Verantwortung
vorfordern wollte. Der war aber spurlos vom Orte verschwunden.
Wenn ich Dir nun sage, mein herzlieber Freund! daß jener
Wetterglashändler eben der verruchte Coppelius war, so wirst Du mir
es nicht verargen, daß ich die feindliche Erscheinung als schweres
Unheil
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