Nachtstuecke | Page 3

E.T.A. Hoffmann
stehenden offnen Schrank, worin meines Vaters Kleider

hingen, vorgezogen war. - Näher - immer näher dröhnten die Tritte - es
hustete und scharrte und brummte seltsam draußen. Das Herz bebte mir
vor Angst und Erwartung. - Dicht, dicht vor der Türe ein scharfer Tritt -
ein heftiger Schlag auf die Klinke, die Tür springt rasselnd auf! - Mit
Gewalt mich ermannend gucke ich behutsam hervor. Der Sandmann
steht mitten in der Stube vor meinem Vater, der helle Schein der
Lichter brennt ihm ins Gesicht! - Der Sandmann, der fürchterliche
Sandmann ist der alte Advokat Coppelius, der manchmal bei uns zu
Mittage ißt!
Aber die gräßlichste Gestalt hätte mir nicht tieferes Entsetzen erregen
können, als eben dieser Coppelius. - Denke Dir einen großen
breitschultrigen Mann mit einem unförmlich dicken Kopf, erdgelbem
Gesicht, buschigten grauen Augenbrauen, unter denen ein Paar
grünliche Katzenaugen stechend hervorfunkeln, großer, starker über die
Oberlippe gezogener Nase. Das schiefe Maul verzieht sich oft zum
hämischen Lachen; dann werden auf den Backen ein paar dunkelrote
Flecke sichtbar und ein seltsam zischender Ton fährt durch die
zusammengekniffenen Zähne. Coppelius erschien immer in einem
altmodisch zugeschnittenen aschgrauen Rocke, eben solcher Weste und
gleichen Beinkleidern, aber dazu schwarze Strümpfe und Schuhe mit
kleinen Steinschnallen. Die kleine Perücke reichte kaum bis über den
Kopfwirbel heraus, die Kleblocken standen hoch über den großen roten
Ohren und ein breiter verschlossener Haarbeutel starrte von dem
Nacken weg, so daß man die silberne Schnalle sah, die die gefältelte
Halsbinde schloß. Die ganze Figur war überhaupt widrig und
abscheulich; aber vor allem waren uns Kindern seine großen knotigten,
haarigten Fäuste zuwider, so daß wir, was er damit berührte, nicht mehr
mochten. Das hatte er bemerkt und nun war es seine Freude, irgend ein
Stückchen Kuchen, oder eine süße Frucht, die uns die gute Mutter
heimlich auf den Teller gelegt, unter diesem, oder jenem Vorwande zu
berühren, daß wir, helle Tränen in den Augen, die Näscherei, der wir
uns erfreuen sollten, nicht mehr genießen mochten vor Ekel und
Abscheu. Ebenso machte er es, wenn uns an Feiertagen der Vater ein
klein Gläschen süßen Weins eingeschenkt hatte. Dann fuhr er schnell
mit der Faust herüber, oder brachte wohl gar das Glas an die blauen
Lippen und lachte recht teuflisch, wenn wir unsern Ärger nur leise
schluchzend äußern durften. Er pflegte uns nur immer die kleinen

Bestien zu nennen; wir durften, war er zugegen, keinen Laut von uns
geben und verwünschten den häßlichen, feindlichen Mann, der uns
recht mit Bedacht und Absicht auch die kleinste Freude verdarb. Die
Mutter schien ebenso, wie wir, den widerwärtigen Coppelius zu hassen;
denn so wie er sich zeigte, war ihr Frohsinn, ihr heiteres unbefangenes
Wesen umgewandelt in traurigen, düstern Ernst. Der Vater betrug sich
gegen ihn, als sei er ein höheres Wesen, dessen Unarten man dulden
und das man auf jede Weise bei guter Laune erhalten müsse. Er durfte
nur leise andeuten und Lieblingsgerichte wurden gekocht und seltene
Weine kredenzt.
Als ich nun diesen Coppelius sah, ging es grausig und entsetzlich in
meiner Seele auf, daß ja niemand anders, als er, der Sandmann sein
könne, aber der Sandmann war mir nicht mehr jener Popanz aus dem
Ammenmärchen, der dem Eulennest im Halbmonde Kinderaugen zur
Atzung holt - nein! - ein häßlicher gespenstischer Unhold, der überall,
wo er einschreitet, Jammer - Not - zeitliches, ewiges Verderben bringt.
Ich war fest gezaubert. Auf die Gefahr entdeckt, und, wie ich deutlich
dachte, hart gestraft zu werden, blieb ich stehen, den Kopf lauschend
durch die Gardine hervorgestreckt. Mein Vater empfing den Coppelius
feierlich. »Auf! - zum Werk«, rief dieser mit heiserer, schnurrender
Stimme und warf den Rock ab. Der Vater zog still und finster seinen
Schlafrock aus und beide kleideten sich in lange schwarze Kittel. Wo
sie die hernahmen, hatte ich übersehen. Der Vater öffnete die Flügeltür
eines Wandschranks; aber ich sah, daß das, was ich solange dafür
gehalten, kein Wandschrank, sondern vielmehr eine schwarze Höhlung
war, in der ein kleiner Herd stand. Coppelius trat hinzu und eine blaue
Flamme knisterte auf dem Herde empor. Allerlei seltsames Geräte
stand umher. Ach Gott! - wie sich nun mein alter Vater zum Feuer
herabbückte, da sah er ganz anders aus. Ein gräßlicher krampfhafter
Schmerz schien seine sanften ehrlichen Züge zum häßlichen
widerwärtigen Teufelsbilde verzogen zu haben. Er sah dem Coppelius
ähnlich. Dieser schwang die glutrote Zange und holte damit
hellblinkende Massen aus dem dicken Qualm, die er dann emsig
hämmerte. Mir war es als würden Menschengesichter ringsumher
sichtbar, aber ohne Augen - scheußliche, tiefe schwarze Höhlen statt
ihrer. »Augen her, Augen her!« rief Coppelius mit dumpfer dröhnender
Stimme. Ich kreischte auf von wildem Entsetzen gewaltig erfaßt und

stürzte aus meinem Versteck heraus auf den Boden. Da ergriff mich
Coppelius, »kleine Bestie! - kleine Bestie!« meckerte er zähnfletschend!
- riß mich auf und warf mich auf den Herd, daß die Flamme mein Haar
zu sengen
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