Nachtstuecke | Page 2

E.T.A. Hoffmann
schwammen. An solchen Abenden war die Mutter sehr traurig
und kaum schlug die Uhr neun, so sprach sie: »Nun Kinder! - zu Bette!

zu Bette! der Sandmann kommt, ich merk es schon.« Wirklich hörte ich
dann jedesmal etwas schweren langsamen Tritts die Treppe
heraufpoltern; das mußte der Sandmann sein. Einmal war mir jenes
dumpfe Treten und Poltern besonders graulich; ich frug die Mutter,
indem sie uns fortführte: »Ei Mama! wer ist denn der böse Sandmann,
der uns immer von Papa forttreibt? - wie sieht er denn aus?« - »Es gibt
keinen Sandmann, mein liebes Kind«, erwiderte die Mutter: »wenn ich
sage, der Sandmann kommt, so will das nur heißen, ihr seid schläfrig
und könnt die Augen nicht offen behalten, als hätte man euch Sand
hineingestreut.« - Der Mutter Antwort befriedigte mich nicht, ja in
meinem kindischen Gemüt entfaltete sich deutlich der Gedanke, daß
die Mutter den Sandmann nur verleugne, damit wir uns vor ihm nicht
fürchten sollten, ich hörte ihn ja immer die Treppe heraufkommen. Voll
Neugierde, Näheres von diesem Sandmann und seiner Beziehung auf
uns Kinder zu erfahren, frug ich endlich die alte Frau, die meine
jüngste Schwester wartete: was denn das für ein Mann sei, der
Sandmann? »Ei Thanelchen«, erwiderte diese, »weißt du das noch nicht?
Das ist ein böser Mann, der kommt zu den Kindern, wenn sie nicht zu
Bett gehen wollen und wirft ihnen Händevoll Sand in die Augen, daß
sie blutig zum Kopf herausspringen, die wirft er dann in den Sack und
trägt sie in den Halbmond zur Atzung für seine Kinderchen; die sitzen
dort im Nest und haben krumme Schnäbel, wie die Eulen, damit picken
sie der unartigen Menschenkindlein Augen auf.« - Gräßlich malte sich
nun im Innern mir das Bild des grausamen Sandmanns aus; sowie es
abends die Treppe heraufpolterte, zitterte ich vor Angst und Entsetzen.
Nichts als den unter Tränen hergestotterten Ruf. »Der Sandmann! der
Sandmann! « konnte die Mutter aus mir herausbringen. Ich lief darauf
in das Schlafzimmer, und wohl die ganze Nacht über quälte mich die
fürchterliche Erscheinung des Sandmanns. - Schon alt genug war ich
geworden, um einzusehen, daß das mit dem Sandmann und seinem
Kindernest im Halbmonde, so wie es mir die Wartefrau erzählt hatte,
wohl nicht ganz seine Richtigkeit haben könne; indessen blieb mir der
Sandmann ein fürchterliches Gespenst, und Grauen - Entsetzen ergriff
mich, wenn ich ihn nicht allein die Treppe heraufkommen, sondern
auch meines Vaters Stubentür heftig aufreißen und hineintreten hörte.
Manchmal blieb er lange weg, dann kam er öfter hintereinander.
Jahrelang dauerte das, und nicht gewöhnen konnte ich mich an den

unheimlichen Spuk, nicht bleicher wurde in mir das Bild des grausigen
Sandmanns. Sein Umgang mit dem Vater fing an meine Fantasie
immer mehr und mehr zu beschäftigen: den Vater darum zu befragen
hielt mich eine unüberwindliche Scheu zurück, aber selbst - selbst das
Geheimnis zu erforschen, den fabelhaften Sandmann zu sehen, dazu
keimte mit den Jahren immer mehr die Lust in mir empor. Der
Sandmann hatte mich auf die Bahn des Wunderbaren, Abenteuerlichen
gebracht, das so schon leicht im kindlichen Gemüt sich einnistet.
Nichts war mir lieber, als schauerliche Geschichten von Kobolten,
Hexen, Däumlingen usw. zu hören oder zu lesen; aber obenan stand
immer der Sandmann, den ich in den seltsamsten, abscheulichsten
Gestalten überall auf Tische, Schränke und Wände mit Kreide, Kohle,
hinzeichnete. Als ich zehn Jahre alt geworden, wies mich die Mutter
aus der Kinderstube in ein Kämmerchen, das auf dem Korridor unfern
von meines Vaters Zimmer lag. Noch immer mußten wir uns, wenn auf
den Schlag neun Uhr sich jener Unbekannte im Hause hören ließ,
schnell entfernen. In meinem Kämmerchen vernahm ich, wie er bei
dem Vater hineintrat und bald darauf war es mir dann, als verbreite sich
im Hause ein feiner seltsam riechender Dampf. Immer höher mit der
Neugierde wuchs der Mut, auf irgend eine Weise des Sandmanns
Bekanntschaft zu machen. Oft schlich ich schnell aus dem
Kämmerchen auf den Korridor, wenn die Mutter vorübergegangen,
aber nichts konnte ich erlauschen, denn immer war der Sandmann
schon zur Türe hinein, wenn ich den Platz erreicht hatte, wo er mir
sichtbar werden mußte. Endlich von unwiderstehlichem Drange
getrieben, beschloß ich, im Zimmer des Vaters selbst mich zu
verbergen und den Sandmann zu erwarten.
An des Vaters Schweigen, an der Mutter Traurigkeit merkte ich eines
Abends, daß der Sandmann kommen werde; ich schützte daher große
Müdigkeit vor, verließ schon vor neun Uhr das Zimmer und verbarg
mich dicht neben der Türe in einen Schlupfwinkel. Die Haustür knarrte,
durch den Flur ging es, langsamen, schweren, dröhnenden Schrittes
nach der Treppe. Die Mutter eilte mit dem Geschwister mir vorüber.
Leise - leise öffnete ich des Vaters Stubentür. Er saß, wie gewöhnlich,
stumm und starr den Rücken der Türe zugekehrt, er bemerkte mich
nicht, schnell war ich hinein und hinter der Gardine, die einem gleich
neben der Türe
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