Nach Amerika! Zweiter Band | Page 8

Friedrich Gerstäcker
fast nur Stunden
ordentlich und vollständig vorzubereiten? Meist aus dem inneren Land,
mit der See kaum dem Namen nach bekannt, schwimmt ihnen Alles
was sie vielleicht über eine erste Einschiffung gelesen, nur wie in
wirren Bildern im Hirn herum, die sie dann nicht fassen und halten

können, sobald sie das zum ersten Mal jetzt praktisch ausführen sollen,
was sie sich Monate vorher vielleicht schon einstudirt.
Der Deutsche ist überhaupt, wo es ins praktische Leben eingreift, das
ungeschickteste Menschenkind auf der weiten Gottes Welt. Viel thut
freilich dabei die Erziehung, und gegängelt und am Leitseil geführt
nicht allein bis ins Schwabenalter, sondern oft auch bis ins Grab, wird
ein so vortrefflicher Staatsbürger aus ihm (den alle anderen, fremden
Regierungen nicht genug zu rühmen wissen) daß er eben zu Nichts
weiter zu brauchen ist, und eben nur so verbraucht werden muß. Reißt
er sich aber einmal los aus den alten Verhältnissen, läßt er die Leute die
bis dahin so aufmerksam und väterlich für ihn gesorgt -- zurück, dann
macht er auch im Anfang gewiß eine Menge dummer Streiche, tritt
anderen Leuten auf die Zehen oder wird von ihnen getreten (in beiden
Fällen regelmäßig um Entschuldigung bittend) und verstößt gegen
Alles was ihm in den Weg kommt, am meisten aber gewiß gegen sich
selbst. Später wird er gescheut, aber es dauert eine lange Zeit.
Hier aber hat er noch manche Entschuldigung für sich; eben erst aus
seinem heimischen Boden gerissen, die Augen noch von, wenn auch
heimlichen, Thränen roth, das Herz zum Brechen voll und den Kopf
wüst und wirr in der Erinnerung an das kaum überstandene; was
Wunder daß er da die Tage gerade, wo er die Sinne recht beisammen
haben sollte, wie im Traume herumgeht, und trotz allen Büchern und
Rathgebern die er vorher gelesen, erst wieder an das Nöthigste denkt
wenn er »zu Ruhe kommt«, d. h. wenn das Schiff in See und die
Seekrankheit vorüber ist -- weit weit draußen im Ocean -- allerdings
etwas zu spät.
So sieht man Schaaren von Auswanderern die Straßen der Seestädte
den ganzen Tag über durchziehn in Gesellschaft und einzeln, die
Männer mit ihren grauen Filzhüten auf und Blousen über die Röcke
gezogen, die kurzen Pfeifen im Mund -- die Frauen Kinder an der Hand
und auf dem Arme, in kleinen schüchternen Trupps vor jedem
aufgeputzten Laden stehen bleibend und die Sachen darin bewundernd,
oder weiter schlendernd und die Aushängeschilder buchstabirend, die
über den verschiedenen Thüren hängen. Es ist das die »leere Zeit« in

ihrem Leben, der erste Ruhepunkt vielleicht, so lange sie denken
können, eine Zeit in der sie Nichts zu thun haben -- Nichts weniges für
andere Leute, wenn auch eigentlich genug für sich selbst. Wie eine
Reihe von Sonntagen, jeder immer länger werdend als der Vorgänger,
schleichen die Stunden an ihnen hin und bieten erst wieder Stoff zu
Gedanken und Betrachtungen draußen in See.
Die Cajütspassagiere, wie solche der Zwischendeckspassagiere, die
noch über einiges Geld zu verfügen hatten, wohnten indessen in den
besseren Gasthöfen Bremens, und benutzten zum Hinausfahren nach
ihrem Bestimmungsort, wo das Schiff vor Anker lag auf dem sie ihre
Ueberfahrt bedungen, eines der kleinen Dampfboote, die täglich
zweimal in wenigen Stunden nach Bremerhafen hinausfahren, und
überall an den Zwischenstationen anlegen; die meisten der
Zwischendeckspassagiere aber, und besonders solche, die von den
Rhedern auf einen gewissen Tag angenommen waren, von dem aus sie
beköstigt werden mußten, waren schon an Bord gegangen,(1) ihr Geld
nicht weiter in der theueren Stadt zu verzehren. Die jedoch, die sich
noch in der Stadt befanden und auf freie Passage nach Bord zu mit
ihrem Gepäck, Anspruch machten, da sie sich das gleich in ihrem, mit
früheren Agenten abgeschlossenem Schiffscontrakt festgestellt hatten,
waren am 20sten Morgens um sechs Uhr an die Ausmündung einer
bestimmten Straße, unten an die Weser bestellt, wo der Kahn Nr. 67 --
Kahnführer Meinert -- lag, von diesem gratis an Bord der
Haidschnucke geschafft zu werden.
Dort versammelte sich denn auch an dem schönen sonnigen Morgen,
dem nur im Westen dunkel aufsteigende Wolken ein kurzes Ende zu
machen drohten, eine Masse Menschen verschiedenartigsten Alters und
Geschlechts, um sich mit dem, versprochener Maßen »bedeckten
Flußschiff« an den Ort ihrer Bestimmung baldmöglichst befördert zu
sehn. Kisten und Kasten, an denen Karrenführer schon seit zwei
Stunden herbeigeschafft, lagen an der bezeichneten Landung bunt
aufgestapelt, und Hutschachteln, Reisesäcke, Körbe mit Victualien &c.
&c. wuchsen von Minute zu Minute an Masse und Gewicht.
Die buntgemischteste Gesellschaft, die sich dabei nur denken läßt,

sammelte sich um die Effecten, junge und alte Männer, ihren Taback in
die freie Luft hinausqualmend und ungeduldig dabei am Ufer auf- und
abgehend, und Frauen und junge Mädchen, fest in ihre
Umschlagetücher eingehüllt, die doch etwas frische Morgenluft
abzuhalten. Die Leute waren aber noch nicht recht bekannt mit
einander geworden; die Gespräche drehten sich bis jetzt nur um das
Gepäck und das »bedeckte Flußschiff« das
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