Nach Amerika! Zweiter Band | Page 7

Friedrich Gerstäcker
dem Knaben Wein

brachten, bis spät in die Nacht hinein.
Zuletzt konnte aber der Knabe nicht mehr -- die Stimme schlug ihm
mehrmals über, und wenn ihn gleich der Alte ärgerlich dabei ansah,
ließ es sich nicht erzwingen. Philipp schaute bittend zu ihm auf und
schüttelte mit dem Kopf, und der Alte legte plötzlich seine Klöppel bei
Seite und fing an die Hölzer wieder zusammenzupacken, während
welcher Zeit der junge Bursch einen Teller nahm und in dem Zimmer
sammelnd umherging. Die Gäste schienen allerdings mit dem frühen
Aufbruch, wie sie's nannten, gar nicht zufrieden, und Steinert besonders
verlangte noch einige Lieblings- Trink- und Weinlieder, die kein
Mensch weiter kannte, der alte Mann schüttelte aber mit dem Kopf und
meinte es sei genug, sein Junge würde ihm sonst krank und könnte
nicht mehr pfeifen, und der Ertrag der Sammlung fiel dabei über alles
Erwarten reich und günstig aus.
Auswanderer, vorzüglich die in den Hotels wohnenden, haben meist
immer noch eine Menge »deutsches Geld« in den Taschen, das sie, wie
sie sagen »doch nicht mit auf das Schiff nehmen können« und sind
gewöhnlich sehr freigebig mit dieser kleinen Münze, so lange sie eben
dauert. Sehr zu ihrem Erstaunen müssen sie dann aber auch freilich
nicht selten schon eingewechseltes amerikanisches Geld wieder »in den
Markt« bringen, und die ewige Klage ist nachher »oh die theueren
Seestädte.«
»Von woher seid Ihr denn, Alter?« frug ihn jetzt Steinert, der, noch am
sparsamsten, nur einige Grote auf den Teller geworfen hatte -- »doch
nicht aus Bremen?«
»Gott der Gerechte, nein!« lächelte der Gefragte, mit einem flüchtigen
aber zufriedenen Blick den Haufen eingesammelter Münzen, unter
denen sich nicht ein einziges Kupferstück befand, überfliegend -- »bin
ich doch von Bromberg.«
»Von Bromberg? Donnerwetter das ist weit« sagte der Weinreisende --
»und was thut Ihr hier in Bremen?«
»Was wir in Bremen thun?« frug der Jude, die Augenbrauen in die

Höhe ziehend -- »Gottes Wunder was thun Sie in Bremen?«
»Ei wir wollen auswandern, Alter« lachte der Reisende, einen
vergnügten Blick im Kreis herumwerfend.
»Als ich aach nicht hierbleiben mag, werd' ich aach auswandern«
erwiederte aber der Israelit, die Schultern in die Höhe ziehend.
»Was? -- auch auswandern?« riefen aber viele der Umstehenden wie
aus einem Mund.
»Na?« -- sagte aber der Jude, sich erstaunt im Kreise umsehend -- »ist's
etwa wohl zu hibsch hier für uns Jüden, heh? wer sollen uns wohl
glicklich schätze, daß mer derfe unsere Steuern zahle und nachher
getreten werden wie die Hunde?«
»Aber wo geht Ihr hin?« rief Einer der Umstehenden, »nach
New-York?«
Der Alte schüttelte mit dem Kopf.
»Nach New-Orleans.«
»Und mit welchem Schiff?« rief Steinert schnell.
»Mit der Haidschnucke.«
»Hurrah der Alte soll leben« jubelten aber die Passagiere der
Haidschnucke um ihn her -- »das ist prächtig, das ist ein Reisegefährte
der uns die Zeit vertreiben wird,« und von verschiedenen Seiten
wurden noch Flaschen Wein bestellt den Spielmann zu traktiren, der
jetzt kaum hörte wie die Sache stand, und das Viele der Anwesenden
auf ein und demselben Schiff die Ueberfahrt mit ihm machen würden,
als er auch augenblicklich sein erst halbgeleertes Glas Bier
zurückschob und sich mit augenscheinlichem Behagen dem Genuß des
wahrscheinlich lange entbehrten Weines hingab. Der Knabe aber trank
sein Glas aus, und setzte sich dann still und weiter nicht beachtet, in die
eine Ecke, lehnte den Kopf zurück gegen die Wand, und schloß die

Augen -- vielleicht schlief er -- bis die späte Nachtstunde auch die
Uebrigen mahnte aufzubrechen, und ihn sein Vater abrief, ihr eigenes
Lager in einem kleinen billigen Wirthshaus in der Neustadt
aufzusuchen.

Capitel 2.
DER WESERKAHN.
Der nächste Tag war ein gar geschäftiger für die Passagiere zweier
Seeschiffe, die noch an demselben Abend expedirt zu werden hofften,
und -- der Aussage der Rheder wenigstens nach -- segelfertig und bis
auf einige unbedeutende Kleinigkeiten vollständig gerüstet, vor Anker
lagen. Tausenderlei Sachen mußten noch besorgt und eingekauft
werden, die man theils für nöthig, theils selbst für unentbehrlich hielt;
Wein und Branntwein wurde dabei angeschafft, Zucker und Zwieback,
eine ganze Ladung von Heringen und Sardellen eingelegt, den
schlimmsten Feind der Reisenden, die Seekrankheit, wenn nicht zu
bannen, doch damit in ihren Wirkungen zu schwächen. Auch mit Blech
und anderem Geschirr, mit Messer, Löffeln und Gabeln als auch
verschiedenen Gewürzen, hatten sich besonders die
Zwischendeckspassagiere zu versehn, denen etwas Aehnliches vom
Schiffe aus nicht geliefert wurde. Und wie viel vergaßen sie noch, was
sie nachher gern auf dem Schiff mit dem Doppelten bezahlt hätten, wo
es freilich nicht mehr zu bekommen war, und wie viel auch wurde
überflüssig als geglaubtes Bedürfniß mitgeschleppt, nachher eine Weile
unbenutzt im Weg herumzufahren und zu verderben, und dann über
Bord geworfen zu werden.
Wer aber kann es den Leuten verdenken, daß sie nicht gleich wissen
und verstehn, sich auf eine so lange mühselige und mit Entbehrungen
und Gefahren verknüpfte Reise in wenigen Tagen, oft
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